Die Krankenhausstruktur nach Corona
Die Krankenhausstruktur nach der Corona-Krise
BORIS AUGURZKY und ANTONIUS REIFFERSCHEID
Die Krankenhauslandschaft war im vergangenen Jahrzehnt durch Spezialisierung und Konzentration von Leistungen geprägt. Auch nach der Corona-Krise ist von einer weiteren Konzentration der Kapazitäten auszugehen. Denn das Potenzial hierfür ist noch groß. Allerdings ist sie im ländlichen Raum nicht immer möglich. Die ländlichen Krankenhäuser benötigen angesichts von Bevölkerungs- und Fallzahlrückgängen, Fachkräftemangel und zunehmenden regulatorischen Vorgaben eine neue Perspektive, um die flächendeckende Versorgung langfristig sicherzustellen. Dieser Beitrag entwirft dafür ein Zielbild. Die Gesundheitsversorgung sollte sich mindestens in solchen Regionen sektorenübergreifend aufstellen. Ländliche Krankenhäuser würden sich zu „integrierten Versorgungszentren“ wandeln und außerdem in starkem Maße eine Koordinationsfunktion für die lokale Gesundheitsversorgung übernehmen. Hierfür werden neue Vergütungssysteme benötigt.
Notwendigkeit der Weiterentwicklung von Krankenhausstrukturen
Deutschland verfügt im internationalen Vergleich über viele Krankenhausstandorte und -betten. Im Vergleich zu Dänemark oder den Niederlanden etwa fünf Mal so viele Standorte [OECD 2017; OECD 2021]. Bereits im vergangenen Jahrzehnt war die deutsche Krankenhauslandschaft maßgeblich von Spezialisierung, Konsolidierung und Konzentration von Leistungen geprägt. Aus wirtschaftlichen Gründen haben viele Krankenhäuser Standorte zusammengelegt, Schwerpunkte in ihrem Leistungsspektrum gebildet oder mitunter auch Einrichtungen verkauft oder geschlossen. Empirisch bestätigt sich, dass Verbünde, größere und spezialisierte Krankenhäuser wirtschaftlich überdurchschnittlich abschneiden [Augurzky etal. 2020].
Dieser Wandel wird auch politisch unterstützt. Der im Jahr 2016 eingeführte Krankenhausstrukturfonds stellt gezielt Mittel zum Abbau von Überkapazitäten, der Konzentration von Standorten sowie der Krankenhausumwandlung bereit. Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz wurde im Jahr 2020 beschlossen, den Strukturfonds über das Jahr 2022 hinaus weiterzuführen. Dies belegt, dass die Bundesregierung an dieser grundsätzlichen Zielrichtung auch nach der Corona-Pandemie festhält. Leistungen sollen unter Effizienz- und Qualitätsaspekten wo möglich in größeren Einrichtungen erbracht werden. Dies wird flankiert von regulatorischen Vorgaben, wie z. B. die Mindestmengen, Strukturvorgaben und Personaluntergrenzen.
Im städtischen Raum spricht aufgrund der sehr guten Erreichbarkeit gegen eine solche Entwicklung auch nach der Corona-Krise meist nichts. Vielmehr kann aus der Krise sogar die Lehre gezogen werden, dass es eine stärkere Koordination zwischen den bestehenden Leistungserbringern geben sollte. Gerade bei der Versorgung von schwer erkrankten, intensivpflichtigen Patienten war die gelebte Koordination während der Krise äußerst hilfreich. Sie war aber auch sehr wichtig, um eine Zuordnung der an COVID-19 erkrankten Patienten zur für sie passenden Versorgungsstufe zu erreichen.
Im ländlichen Raum hingegen kann eine stärkere Konzentration der Kapazitäten zu Einschränkungen bzgl. der Erreichbarkeit führen. Wenn hier jedoch eine Konzentration unterbleibt, können erhebliche wirtschaftliche und qualitative Probleme auftreten, zumindest perspektivisch. Erstens sinkt in vielen ländlichen Gebieten die Einwohnerzahl und es kann trotz Alterung der Bevölkerung zu einem Rückgang der stationären Fallzahl kommen. Damit wird es für kleine Grundversorger immer schwieriger, ihre Vorhaltekosten zu finanzieren. Zweitens decken ländliche Grundversorger primär Leistungen der Basisversorgung ab, welche mit zunehmendem Anteil ambulant erbracht werden können. Die Ausweitung des Katalogs für ambulantes Operieren wird absehbar bei vielen Grundversorgern zu einer zusätzlichen Fallzahlreduktion führen [IGES2022]. Eine weitere große Herausforderung ist drittens das mit demdemografischen Wandel einhergehende Sinken des Erwerbskräftepotenzials in diesen Regionen. Dies verstärkt den bereits bestehenden Fachkräftemangel. Krankenhäuser können dann selbst bei einer ausreichenden Finanzierung ihrer Kosten nicht genug oder nicht das richtige Personal finden, um alle nötigen Leistungen durchgängig und qualitativ hochwertig anbieten zu können.
Zielbild für eine künftige Krankenhausstruktur im ländlichen Raum
Ländliche Grundversorger sollten künftig eine neue Rolle in der Gesundheitsversorgung übernehmen und sich um die ganzheitliche Basisversorgung in der näheren Umgebung kümmern. Je nach Umfang der Aufgaben, die vor Ort zu erfüllen sind, können sie Betten führen, müssen es aber nicht. Mögliche Leistungsbereiche sind [Augurzky u. Reifferscheid 2020]:
- stationäre Grundversorgung,
- ambulante Operationen,
- (komplexe) ambulante fachärztliche Versorgung,
- Notfallversorgung,
- telemedizinische Anbindung zu Schwerpunkt- und Maximalversorgern,
- telemedizinische Angebote für die Bevölkerung vor Ort,
- Kurzzeitpflege und ambulante Pflegedienste,
- stationäre und ambulante Rehabilitation sowie
- Koordination der lokalen Gesundheitsversorgung und
- Präventionsangebote.
Aufgrund dieser Aufgabenvielfalt kann nicht mehr von einem Krankenhaus im herkömmlichen Sinne gesprochen werden. Daher verwenden wir den Begriff des integrierten Versorgungszentrums (IVZ).
Ein IVZ kann je nach den Erfordernissen vor Ort völlig unterschiedlich ausgestaltet sein. Es kann viele Betten haben, wenn es ein größeres Gebiet versorgt. Es kann auch eine kleinere Einrichtung ohne Betten sein. Zentral ist, dass es die ambulante und stationäre fachärztliche Basisversorgung in der Fläche sicherstellt. Falls es eine stationäre Versorgung anbietet, beschränkt es sich auf die Grundversorgung in der Inneren Medizin, der Chirurgie und ggf. der Geburtshilfe. Diese Kompetenzen sind auch für die Notfallversorgung,das ambulante Operieren, die ambulante fachärztlichen Versorgung und die Koordinationder regionalen Leistungserbringung hilfreich. Nötig ist stets eine telemedizinische Anbindung an einen Schwerpunkt- oder Maximalversorger im Zentrum einer Region, um bei bestimmten Fallkonstellationen einen schnellen Zugang zu weiterem Expertenwissen zu gewährleisten.
Ambulant tätige Fachärzte können und sollten sich langfristig am IVZ räumlich konzentrieren und sich enger mit ihren IVZ-Kollegen vernetzen. Dies kann in eigenen Räumlichkeiten oder in angemieteten Flächen, am IVZ freiberuflich oder als Angestellte am Medizinischen Versorgungszentrum geschehen. Durch die Konzentration der fachärztlichen Versorgung lassen sich einfacher flexible Arbeitszeitmodelle realisieren und Investitionen auf mehrere Schultern verteilen. Für den ärztlichen Nachwuchs werden diese Aspekte immer wichtiger. Seit Jahren schon steigt die Teilzeitquote unter Ärzten kontinuierlich an [KBV 2020]. Je nach Bedarf vor Ort können sie dabei auch in der stationären Versorgung tätig sein.
IVZ bieten außerdem entweder selbst oder über Dritte Kurzzeitpflege und ambulante Pflege an. Der Bedarf an Pflegeangeboten ist in vielen ländlichen Regionen heute schon sehr groß und wird aufgrund der weiteren Alterung noch stark steigen. Gerade das ältere, zum Teil geriatrische Patientenklientel der Krankenhäuser benötigt reibungslose Schnittstellen zur anschließenden pflegerischen Versorgung. In vielen Regionen ist dies heute nicht gegeben. Ein wichtiges Ziel ist schließlich die Vermeidung von Krankheiten und eine dem Bedarf entsprechende Versorgung, die besonders auch digitale Angebote umfasst. Ein Leitgedanke soll dabei „digital vor ambulant vor stationär“ sein und zudem sollen Präventionsleistungen für die Bevölkerung eine größere Bedeutung erhalten.
Wege zur Umsetzung des Zielbilds
Als sektorenübergreifender Leistungserbringer der fachärztlichen Versorgung soll das IVZ zu einer verstärkten Ambulantisierung und damit zu einem effizienteren Ressourceneinsatz beitragen. Im derzeitigen Vergütungssystem ist dies für ein Krankenhaus jedoch nachteilig, weil die Krankenhauserlöse stark von den stationären Fallzahlen abhängen. Eine Abkehr von diesem starken Fallbezug könnte über eine ergänzende Finanzierung der Vorhaltekosten oder Regionalbudgets erreicht werden.
Die Finanzierung von Vorhaltekosten kann auf einzelne Leistungsbereiche, zum Beispiel Intensivkapazitäten, beschränkt werden oder befristet in besonderen Krisensituationen gelten. Sie könnte aber auch weiterreichen und zudem die Notfallversorgung, die Basisversorgung, Koordinationsfunktionen und eine digitale Grundausstattung in Form eines sogenannten Vorhaltebudgets (VHB) abdecken. So könnte beispielsweise ein größerer Anteil der DRG-Vergütung, etwa ein Drittel, ausgelagert werden – nach einer zuvor zu erfolgender Wiedereingliederung der Pflegepersonalkosten. Der fallbezogene Vergütungsanteil würde deutlich sinken und damit auch der Mengenanreiz im DRG-System. Gleichzeitig würde die Vergütungsdifferenz zur ambulanten Leistungserbringung abnehmen und der Anreiz zur Ambulantisierung steigen.
Wenn das VHB auf der Ebene des einzelnen Krankenhauses zur Verfügung gestellt würde, entstünden jedoch große regionale Unwuchten. Regionen mit einer im Vergleich zur Einwohnerzahl hohen Krankenhausdichte würden bevorteilt und Regionen mit niedriger Krankenhausdichte benachteiligt. Daher sollten VHB für eine Region, nicht für ein Haus definiert werden. Auf Basis der Bevölkerungs‑, Morbiditäts- und Siedlungsstruktur einer Region würde im ersten Schritt ein VHB errechnet. Dieses wäre im zweiten Schritt auf die einzelnen Standorte einer Region zu verteilen. Über diesen Faktor würden auch die bisherigen Sicherstellungszuschläge automatisch Berücksichtigung finden.
Das VHB könnte überdies auf einzelne Leistungssegmente heruntergebrochen werden. Dies würde für die Bundesländer den Anreiz setzen, bei der Krankenhausplanung Versorgungsaufträge in einer Region bei einzelnen Standorten zu bündeln, damit das VHB nicht zu sehr verwässert wird, wenn zu viele Krankenhäuser einer Region den gleichen Versorgungsauftrag besitzen. Dies trägt dazu bei, bestehende regionale Überkapazitäten nicht dauerhaft zu „zementieren“. Sollte ein Bundesland oder ein Landkreis eine großzügigere Krankenhausdichte bevorzugen, könnte es oder er jederzeit eigene Mittel beisteuern, um das VHB zu erhöhen.
Regionalbudgets (RB) stellen eine Vergütungsmöglichkeit für den ländlichen Raum dar. In diesem Modell wird einem Krankenhaus bzw. den Leistungserbringern einer Region ein Budget für die gesamte Gesundheitsversorgung einer Versorgungsregion zugeteilt. Das RB kann unterschiedliche Leistungsbestandteile abdecken. Seine Höhe sollte sich an den bisherigen Leistungsausgaben orientieren. Zumindest sollte ein RB die ambulante und stationäre fachärztliche Basisversorgung umfassen. Das Krankenhaus stellt mit dem RB die Basisversorgung der Bevölkerung sicher und übernimmt – je nach konkreter Ausgestaltung des RB – das Morbiditätsrisiko der Krankenkassen. Die Krankenkassen werden an den Vorteilen des RB beteiligt.
Bei RB besteht für Leistungserbringer ein starker Anreiz, stationäre Leistungen möglichst zu vermeiden, um Kosten zu sparen. Der Anreiz zur Ambulantisierung und Prävention wäre stark ausgeprägt. RB setzen Anreize zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit. Während die DRG-Vergütung nur die Wirtschaftlichkeit innerhalb des stationären Sektors erhöht, setzen RB Anreize zur ganzheitlichen, sektorenübergreifenden Effizienz. Diesen Vorteilen steht aber ein geringerer Leistungsanreiz als zentraler Nachteil entgegen. Denn Krankenhäuser können auch durch das Vorenthalten medizinischer Leistungen wirtschaftliche Vorteile realisieren. Dieser äußerst problematische Anreiz muss durch ein Leistungs- und Qualitätsmonitoring sowie durch einen Wettbewerb zwischen Regionen über die Wahlfreiheit der Patienten begrenzt werden – verbunden mit entsprechenden Ausgleichszahlungen an Nachbarregionen. Eine Übersicht zu Erfahrungen mit RB aus dem Ausland findet sich in Benstetter et al. [2020].
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Krankenhausmanagement" herausgegeben von Jörg F. Debatin, Axel Ekkernkamp, Barbara Schulte und Andreas Tecklenburg. Alle Informationen zum Titel finden sie hier.