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Notfälle und Einsätze in extremer Hitze

1. Notfälle und Einsätze in extremer Hitze und in extremen Hitzeperioden

Anna Lang, Daria Luschkova, Monika Seemann und Claudia Traidl-Hoffmann

1.1 Klimakrise

„Planetary Health“ befasst sich mit den „Zusammenhängen zwischen der menschlichen Gesundheit und den politischen, ökonomischen und sozialen Systemen, sowie den natürlichen Systemen unseres Planeten, von denen die Existenz der menschlichen Zivilisation abhängt“ (Müller et al. 2018).

Der Planet, von dem unser aller Existenz abhängt, befindet sich in multiplen Krisen. Die zwei schwerwiegendsten sind die Klimakrise und die Biodiversitätskrise. Auch andere planetare Grenzen sind längst weit überschritten. Schuld daran sind wir Menschen selbst.

„Seit Mitte des 20. Jahrhunderts steigen die menschlichen Aktivitäten und deren globale Auswirkungen nahezu exponentiell an.“(sogenannte Great Acceleration) (Müller et al. 2018)

Dadurch hat sich die Erde aufgrund der Treibhausgasemissionen aus menschlichen Aktivitäten inzwischen um etwa 1,1 Grad Durchschnittstemperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit (1850–1900)erwärmt (Bednar-Friedl et al. 2022). Das hat einerseits viele direkte Folgen wie beispielsweise steigende Meeresspiegel oder erhöhte Wahrscheinlichkeiten für Extremwetterereignisse (z.B. Stürme, Überschwemmungen und Hitzewellen). Andererseits ergeben sich hieraus auch indirekte Folgen, z.B. Unsicherheiten in der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung oder verminderte Luftqualität.

Aufgrund der rasanten Änderung der Ökosysteme steigt der Stellenwert der Katastrophenmedizin zum Schutz der Bevölkerung vor Extremwetterereignissen aber auch für die Anpassung an lokale Veränderungen. Die größte Gefahr für die menschliche Gesundheit stellen hierbei Hitzewellen dar.

Hitzewellen stellen ein Gesundheitsrisiko für alle Bevölkerungsgruppen dar, insbesondere aber für vulnerable Gruppen können sie schnell zu einer akuten Gefahr werden. Es gilt daher, bei Einsätzen während extremer Hitze und bei der Behandlung thermischer Schäden, auf Hitze-spezifische Maßnahmen zu achten.

1.2. Hitze - ein Gesundheitsrisiko

Der Klimawandel führt zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen sowie der Häufigkeit, Intensität und Dauer von Hitzewellen (Romanello et al. 2022). Die Hitze ist wohl die spürbarste Auswirkung des Klimawandels, gehört jedoch in Deutschland zu den am meisten unterschätzten Gefahren. Der Lancet-Bericht geht von 108.000 Hitzetoten inEuropa im Jahr 2019 aus, dabei ist insbesondere Deutschland von der Hitzebetroffen (Romanello et al. 2021). Insgesamt sei die Zahl hitzebedingter Todesfälle bei Menschen über 65 Jahren im Zeitraum von 2017 bis 2021im Vergleich zu den Jahren 2000 bis 2004 um 68 Prozent gestiegen (Romanello et al. 2022).

Schwankungen der optimalen Kernkörpertemperaturtoleriert der menschliche Organismus nur in einem sehr geringen Maß und reguliert diese permanent durch Vasodilatation und Schwitzen. Die Thermoregulation hat Nebeneffekte: Mit dem Schweiß verliert der Körper Wasser und Elektrolyte. Durch die Vasodilatation und eine Blutdrucksenkung ist das Herz-Kreislauf-System belastet. Bei älteren Menschen, Kleinkindern und Personen mit chronischen Erkrankungen können eine Dehydrierung und die hitzebedingte Belastung des Herz-Kreislauf-Systems lebensbedrohliche Folgen haben. Hitze befeuert lokale und systemische Entzündungsreaktionen, eine höhere Hämoviskosität sowie eine Aktivierung der Blutgerinnung und kann somit kardiovaskuläre Erkrankungen fördern. Hitze kann zudem die Pharmakokinetik und den Metabolismus von Medikamenten im Körper verändern und zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen.

Abb. 1 Hitze - gesundheitliche Auswirkungen

Die Exposition gegenüber extremer Hitze wird mitakuten Nierenschäden, Hitzschlag, ungünstigen Schwangerschaftsergebnissen, verschlechterten Schlafgewohnheiten, Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, einer Verschlimmerung der zugrundeliegenden Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen (s. Abb. 1) und einem Anstieg der Todesfälle in Verbindung gebracht (Romanello et al. 2022). Hitzefördert Aggressionen und Streitsüchtigkeit und lässt die Kriminalitätsrate und Suizidalität ansteigen (Ranson 2014; Schneider et al. 2020).

Die langanhaltende Hitze begünstigt Waldbrände, die neben unmittelbaren Todesfällen auch zu posttraumatischen Belastungsstörungen sowie aufgrund der freigesetzten Luftschadstoffe zu erhöhter kardiovaskulärer und respiratorischer Mortalität und erhöhtem Risiko von Früh- und Totgeburtenführen kann (Yu et al. 2020). Der Klimawandel beeinflusst zudem die Ökosysteme und die Verbreitungsgebiete im Pflanzen- und Tierreich. Durch den Temperaturanstieg nehmen Infektionen, die durch Vektoren wie z.B. Stechmücken oder Zecken übertragen werden, zu. Höhere Temperaturen verlängern die Pollensaison, erhöhen die Pollenkonzentration in der Luft und verstärken allergische und asthmatische Symptome.

1.3. Risikogruppen

Es gibt sowohl Personengruppen, deren Vulnerabilität für Hitze durch bestimmte Faktoren gesteigert ist, als auch Situationen, die die Hitzeanfälligkeit einer Person erhöhen (Mora 2017). Zu den Risikosituationen zählen große Menschenansammlungen, Sport oder starke körperliche Belastung. Durch Hitze besonders gefährdet sind folgende Personengruppen:

  • älteren Menschen
  • isoliert lebende Menschen
  • pflegebedürftige Menschen
  • Personen mit starkem Übergewicht
  • Menschen mit chronischen Erkrankungen
  • Menschen mit fieberhaften Erkrankungen
  • Menschen mit Demenz
  • Menschen, die bestimmte Medikamente einnehmen
  • Menschen mit eingeschränkter Thermoregulation
  • Säuglinge und Kleinkinder
  • Personen, die im Freien körperlich intensiv tätig sind (z.B. Berufe des Baugewerbes, der Landwirtschaft und Gastronomie) und Obdachlose

1.4. Notfälle und Einsätze bei extremer Hitze

Die Prävention irreversibler Gesundheitsschäden und die Senkung des Mortalitätsrisikos, die von hitzeassoziierten Notfallereignissen ausgehen, hängen von dynamischen Prozessen, die aufeinander abgestimmt sind, ab. Zunächst ist, auch aus gesundheitsökonomischer Sicht, die Alarmierung des korrekten Rettungsmittels in der Präklinik essenziell sodass innerhalb einer angemessenen Hilfsfrist die Notfallversorgung der hitzegeschädigten Person eingeleitet werden kann.

Generell kann man thermische Schäden und durch Temperaturen bedingte Exazerbationen unterscheiden. Jedoch ist auch relevant, ob der betroffene Mensch sich körperlich angestrengt hat. Der sogenannte exertional heat stroke betrifft vor allem junge gesunde Menschen, ein classic heat stroke aber eher ältere Menschen oder solche mit Risikofaktoren. Ebenfalls betroffen sind Kinder, deren Thermoregulation noch nicht voll ausgebildet ist (Amboss 2022).

1.4.1.Thermische Schäden

Auch nicht vorerkrankte Menschen können durch zulange Exposition zu sehr heißen Temperaturen direkt hitzeassoziierte Krankheitsbilder entwickeln. Die schwerste Form des Hitzeschadens ist der Hitzschlag (auch Hitzepyrexie), bei dem die Thermoregulation des Körpersaufgrund der Überlastung der körpereigenen Kompensationsmechanismen ausfällt. Leichtere Formen umfassen Hitzesynkope und -erschöpfung, aber auch Sonnenbrand und Hitzekrämpfe (unwillkürliche Muskelzuckungen durch Elektrolytverschiebungen als Folge einer Dehydration). Im Notfallgeschehen ist es wichtig, zwischen dem Hitzschlag und leichteren Formen der Hitzeschäden mit intakter Thermoregulation unterscheiden zu können, da sich die Behandlung teils unterscheidet. Ein Sonderfall ist der Sonnenstich. Hier kommt es durch mangelnden Sonnenschutz zu einem isolierten Temperaturanstieg im Schädel mit Reizung der Hirnhäute, der Rest des Körpers hat meist Normaltemperatur.

Generelle Maßnahmen sollten stets die Sicherung und Kontrolle der Vitalparameter, Kühlung mit feuchten Tüchern oder Eisbeuteln, je nach Schwere der Kreislaufdekompensation einen Zugang für die Volumengabe und Sauerstoffgabe umfassen. Dafür verbringt man den betroffenen Menschen am besten an einen kühlen Ort und lagert ihn flach.

Wichtigste Maßnahme neben dem Sichern der Vitalfunktionen ist stets die rasche Kühlung des Körpers! Auch bei Reanimationspflichtigkeit muss weiter gekühlt werden. Bei Erreichen einer Körpertemperatur von unter 38 Grad muss mit der Kühlung aufgehört werden. Antipyretika sind kontraindiziert!

Gerade bei einem Hitzeschlag sind die systemischen Effekte sehr akut und meist der Grund für eine intensivmedizinische Behandlung .Die Mortalität beträgt bei Fällen von Hitzschlägen, die stationär aufgenommen wurden 21 bis 63% (Amboss 2022). Das mag an den vielfältigen Möglichkeiten für Komplikationen liegen. Aufgrund von Elektrolytverschiebungen als Folge der Dehydratation kann es zu Tachyarrhythmien und anderen EKG-Veränderungen kommen, daher ist eine frühzeitige Gabe von isotonischen Elektrolytlösungen – auch zur Vermeidung weiterer zentralnervöser Schäden – essenziell. Wird man der Komplexität der Elektrolytverschiebung nicht gerecht, kann das zu Krampfanfällen und Hirnödemen führen (von Wichert 2008). Die schwerwiegendsten Komplikationen umfassen Rhabdomyolyse, die zum Nierenversagen führt und die disseminierte intravasale Koagulation (DIC), die unbehandelt zum Multiorganversagen führt.

1.4.2. Dekompensation bekannter Vorerkrankungen

Ein klassisch hitzeassoziiertes Notfallereignisstellt die Dekompensation bereits bestehender Vorerkrankungen dar. Hierbei können pathophysiologisch eine periphere Vasodilatation, die Erhöhung von Entzündungsmediatoren und die Erhöhung der Blutviskosität und eine veränderte Blutzusammensetzung bis hin zur disseminierten intravasalen Koagulation eine Rolle spielen (Mora 2017). Der Übergang zwischen Erkrankungen, die rein durch Hitzeexposition hervorgerufen werden und der Exazerbation einer bereits bestehenden Erkrankung ist teils fließend. Genauso kann die Überlastung eines Organs zur Schädigung eines weiteren Organsystems führen und letztendlich im Multiorganversagen enden, wenn nicht rechtzeitig die richtigen Maßnahmenergriffen werden.

Hier steht wieder die Kühlung der Patient:innen und die symptomatische Therapie im Vordergrund. Je nach Krankheitsbild können eventuelle organspezifische Maßnahmen oder sogar eine intensivmedizinische Behandlung notwendig werden. Generell kann fast jede Erkrankung durchzusätzlichen Hitzestress exazerbieren, vor allem die folgenden:

  • kardiovaskuläre Erkrankungen: v.a. die periphere Vasodilatation und eine mit Dehydratation einhergehende erhöhte Viskosität des Blutes üben eine zusätzliche Belastung aus
  • Diabetes mellitus Typ 1 und 2
  • dermatologische Erkrankungen
  • respiratorische Erkrankungen
  • Darmerkrankungen
  • Lebererkrankungen
  • onkologische Erkrankungen
  • psychische und zentralnervöse Erkrankungen
  • Nierenerkrankungen
  • Heat-stress-Nephropathie ist ein relativ „neues“ Krankheitsbild, das ein Nierenversagen aufgrund von Dehydratation und Volumenverlust mit eventuellen zusätzlichen kardiovaskulären Symptomen beschreibt. In der Schwere kann es bis hin zur Dialysepflichtigkeit und der Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Betreuung gehen(Traidl-Hoffmann et al. 2021, S. 77–82). Gerade bereits geschädigte Nierenreagieren hier sehr empfindlich.


1.4.3. Verhalten bei Hitze

Prävention ist die beste Medizin. Beachtet man verschiedene Aspekte, treten viele hitzebedingte Erkrankungen gar nicht erst auf. Das übergeordnete Ziel ist hierbei, übermäßige Hitzeexposition zu vermeiden. Das ist nicht nur für vorerkrankte Patient:innen wichtig, sondern auch für das medizinische Personal selbst. Wie stark der Körper durch Hitze belastet ist, hängt von der Temperatur, aber auch von der Luftfeuchtigkeit ab. Weitere Faktoren, wie Bekleidung, körperliche Anstrengung und individuelle Resilienz spielen auch eine Rolle. Um die Belastung möglichst gering zu halten, gibt es einige Möglichkeiten. Viele zielen auf persönliches Verhalten ab, aber auch regionale beziehungsweise lokale Hitzeschutzpläne können die Gesundheit der Menschen gut schützen. Bisher gibt es davon wenige. 

In Städten kann es aufgrund des sogenannten Hitzeinsel-Effektes deutlich wärmer werden als in ländlichen Regionen. Da Gebäude und Straßen Wärme speichern und Industrien und Verkehr zusätzlich Wärmeproduzieren, sind städtebauliche Maßnahmen wie das Anlegen von Windschneisen, Grünflächen, Bäume, begrünte Fassaden und Parks von großer Bedeutung.

1.4.4. Selbstschutz von Personal

Gerade wenn man nicht im gekühlten Krankenhaus arbeitet, sondern draußen bei Notfalleinsätzen, gilt es, gut auf sich selbst und Kolleg:innen acht zu geben. Denn wem es selbst nicht gut geht oder wer im schlimmsten Fall sogar ausfällt, kann auch für Patient:innen keine Hilfestellung mehr geben. Grundsätzlich gelten für einen gesunden arbeitenden Menschen die gleichen Empfehlungen wie in Tabelle 2.Durch die Arbeit unter freiem Himmel und an Patient:innen ergeben sich noch zusätzliche Empfehlungen.

1.    Arbeitsabläufe und Leistungsbereitschaft anpassen

  • genug Pausen
  • Tätigkeiten, wenn möglich, auf kühlere Tageszeiten verlegen
  • keine Höchstleistungen
  • Einsatz- und Übungszeiten möglichst kurzhalten

2.  Flüssigkeitszufuhr nach Einsätzen unter erschwerten Bedingungen erhöhen

  • nach Einsätzen in der Mittagshitze
  • nach dem Tragen von zusätzlicher Schutzausrüstung (wie Infektionsschutz, Atemmaske...)
  • nach anstrengenden Einsätzen (viel Tragen, Reanimation...)

3.  Für Führungskräfte: Einsatzkräfte rechtzeitig über zu erwartende Temperaturen und sinnvolle Maßnahmen informieren (Friedrich 2022)

1.5. Fazit

Hitze ist gefährlicher und wir Menschen sind vulnerabler für die Gefahren, die von extremer Hitze ausgehen, als man zunächst vermuten würde. Zwar ist eine Anpassung an wärmere Temperaturen für den Körpermöglich, doch das ist ein Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum zieht und auch schnell seine Grenzen erreicht. So gibt es zwar zu Beginn des Sommersmehr Hitzetote bei einer Hitzewelle als im Spätsommer. Allerdings kann sich der Körper an einen schnellen Anstieg der Temperatur nicht adäquat anpassen (von Wichert 2008).

Auch individuelle Maßnahmen zur Kühlung und Vermeidung von Hitzeexposition erreichen irgendwann ihre Grenzen. Hier kommen Hitzeaktionspläne ins Spiel. Auf kommunaler Ebene sollen sie eine Grundlage für Schutz vor Exposition, Schulung von medizinischem Personal und Vorbereitung von Versorgungseinrichtung schaffen. Aber auch stadtplanerische Maßnahmen für gutes Stadtklima, Zugang zu kühlen Räumen und Warnung vor extremem Wetter über ein Warnsystem sollen hier verankert sein.

Mit Hitzeaktionsplänen würde man dem Anspruch der Anpassung des Gesundheitssystems an die Hitze gerecht, es wäre einer der notwendigen Schritte in Richtung eines klimaresilienteren Gesundheitssystems. Weitere wichtige Schritte auf Ebene des Gesundheitssystems wären solche hin zu Klimaneutralität. Das Gesundheitssystem selbst stößt etwa 5% der weltweiten Treibhausgasemissionen aus und trägt daher die Verantwortung, diese möglichst schnell zu reduzieren, um die Klimakrise nicht weiter zu befeuern. Diese hat neben Hitzewellen auch weitere Auswirkungen, wie beispielsweise erhöhtes Auftreten von Allergien, neue Infektionserkrankungen, Missernten durchverändertes Wetter und Wassermangel, daraus resultierende Migrationsbewegungen und Kriege (Bednar-Friedl et al. 2022).


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