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Braucht es 2030 noch ein KIS?

PETER GOCKE und JÖRG F. DEBATIN


Das Krankenhausinformationssystem (KIS) steht für die Gesamtheit aller informationsverarbeitenden Systeme zur Erfassung, Bearbeitung und Weitergabe medizinischer und administrativer Daten im Krankenhaus. Primäre Aufgabe eines KIS ist zunächst die Unterstützung bzw. Erledigung administrativer Aufgaben, teilweise auf Vorgaben aus dem SGB V beruhend: Dazu zählen die Administration der Patientenstammdaten und der Falldaten inklusive Kodierung für die Erfordernisse der Abrechnung und Qualitätssicherung im DRG-System. Dazu kommen Aufgaben im medizinischen Bereich, vor allem die Erhebung der Krankheitsdaten (z.B. Anamnese), Dokumentation und Planung ärztlichen und pflegerischen Handelns (Pflegeplanung und Pflegedokumentation), Auftrags- und Befundkommunikation sowie die Erstellung ärztlicher Berichte und Arztbriefe. Vielfach gewünscht, aber noch viel zu selten erfolgreich umgesetzt, sollten moderne KIS auch die Planung und Steuerung medizinischer Leistungen über klinische Behandlungspfade („clinical pathways“) unterstützen, den Prozess der Dokumentenerstellung (Befundberichte, Arztbriefe) weitgehend automatisieren und durch algorithmenbasierte Datenauswertungen das Zeitalter der KI im Krankenhaus einläuten. Basierend auf dieser Definition werden Krankenhäuser auch 2030 nicht ohne KIS auskommen. Im Gegenteil, das KIS wird eine deutlich wichtigere Rolle mit erheblichmehr Funktionalitäten beinhalten.

Hinter dem Begriff „KIS“ verbirgt sich die hochkomplexe Gesamtheit aller über Schnittstellen mehr oder weniger gut integrierten IT-Systeme eines Krankenhauses. Eine solche Struktur wird es auch in Zukunft geben.

Der bereits recht breite Funktionsumfang eines KIS wird einen steten Zuwachs an neuen Aufgaben erfahren. Entsprechend komplexer wird der Definitionsumfang von KIS. Monolithische Komplettlösung ohne Schnittstellen und Flexibilität werden durch modulare Lösungen ersetzt. Auf der Grundlage klarer Interoperabilitätsstandards wird das KIS der Zukunft durch das Zusammenspiel spezialisierter Module charakterisiert sein. Die dafür erforderlichen Normen und Standards halten gerade Einzug in die digitale Welt der Gesundheitsdienstleister, inzwischen auch verbindlich in Deutschland. Dazu gehören FHIR, HL7, SNOMED CT, und LOINC, um nur die wichtigsten zu nennen.

Im KIS der Zukunft wird der bisher führende administrative Teil zunehmend in den Hintergrund treten. Auch hier werden monolithische Systeme zunehmend von Einzelmodulen, z.B. für Abrechnung oder Ressourcenplanung, abgelöst. In den Vordergrund werden vor allem die patientenzentrierten Teile eines KIS (Klinisches Arbeitsplatzsystem, KAS) rücken. Sie spielen die zentrale Rolle bei Koordination und Steue-rung medizinischer Leistungen eines Krankenhauses. Deshalb kann die Ausgestaltung und Steuerung des KIS zukünftig auch nicht mehr in der alleinigen Zuständigkeit zentraler Verwaltungsbereiche oder in den Händen von IT-Abteilungen liegen. Vielmehr wird sich die Steuerung, insbesondere der klinischen Anteile, der sich ändernden Arbeitsweise im Gesundheitswesen anpassen: kooperative Führungskonzepte durch Selbststeuerung kompetenter klinisch tätiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in flacher Hierarchie – unter Einbeziehung der Patientinnen und Patienten. Entscheidend für die Steuerung der digitalen Infrastruktur eines Krankenhauses ist ein vertieftes Verständnis der klinischen Prozesse. Dieses findet man nur bei den klinisch tätigen Mitarbeiter:innen, die in der Konsequenz viel stärker in die KIS-Planung und Steuerung einbezogen werden müssen.

Der wichtige Grundsatz „IT follows process“ bleibt bestehen: Für eine erfolgreiche Einführung und den Betrieb von KIS-Software ist die Modellierung und Optimierung der klinischen Prozesse von zentraler Bedeutung.

Im engeren Sinn wird als Krankenhausinformationssystem (KIS) auch als das zentrale Softwareprodukt, welches in einem Krankenhaus die Patientenakte beinhaltet, verstanden. Ergänzt um Bereichs- und Anwendungssysteme wie Radiologieinformationssystem (RIS), das Laborinformationssystem (LIS bzw. LIMS) oder das Intensiv-stationsinformationssystem (IIS bzw. PDMS), geht es vornehmlich um die Dokumentation aller relevanten Daten, die bei der medizinischen Behandlung eines Patienten im Krankenhaus so anfallen. Gern wird dies auch als klinisches Arbeitsplatzsystem (KAS) subsumiert.

Die Patientenakte innerhalb des KAS beschränkt sich auf die Speicherung und Darstellung der innerhalb des Krankenhauses entstandenen Daten. Die Datensammlung kann sich zwar aus mehreren, zeitlich versetzten Aufenthalten im gleichen Krankenhaus zusammensetzen, ggf. ergänzt um eingescannte Dokumente, jedoch bleibt die KIS-Dokumentation innerhalb des KAS auf die im Krankenhaus entstandenen Daten beschränkt. Das wird im Jahr 2030 gänzlich anders sein! Und das liegt an der Veränderung der digitalen Landschaft innerhalb unseres Gesundheitssystems.

Die Patientenakte, als zentrales KIS-Element, wird im Jahr 2030 für jede Krankenhausbehandlung alle relevanten medizinischen Daten, unabhängig von ihrem Entstehungsart (Hausarzt, Fachärztin, Apotheke, Krankenhaus etc.) beinhalten.

Das deutsche Gesundheitswesen wandelt sich von einer Systemlandschaft aus lokalen Silos zu einem national vernetzten Gesundheitssystem, in dem Patientinnen und Patienten ihre medizinischen Daten selbst in der elektronischen Patientenakte (ePA) auf Basis der Telematikinfrastruktur (TI) verwalten. Das bedeutet für das behandelnde Krankenhaus, dass die medizinische Behandlung nicht mehr nur auf Daten innerhalb der Systeme und Strukturen des eigenen Krankenhauses beruht. Daten, die außerhalb des KIS entstanden sind, werden für eine optimale medizinische Versor-gung im Krankenhaus innerhalb des KIS verfügbar. Dies wird sowohl die Prozesslandschaft im Krankenhaus als auch den benötigten Funktionsumfang von KIS massiv verändern.

Denkbar wird folgendes Szenario: Bei der Aufnahme des Patienten wird die in der Cloud befindliche ePA des Patienten in das KIS geladen. Dabei ist eine Abstimmung der Datenstrukturen zwischen ePA und KIS von zentraler Bedeutung. Die somit importierten Daten innerhalb des KIS werden zur Grundlage der folgenden Diagnostik und Therapie. Nach Abschluss der Behandlung im Krankenhaus werden die relevanten Daten und Dokumente, wie z.B. OP-Berichte, Laborergebnisse, und Entlassbrief zurück in die Cloud-basierte ePA exportiert. So wird die ePA unabhängig vom jewei-ligen Leistungserbringer zu dem führenden digitalen Instrument als Basis sämtlicher medizinischer Diagnostik und Therapie. Voraussetzung für die Realisierung dieses Szenarios ist natürlich die Transformation der ePA-Struktur von einer Speicherung einzelner Dokumente hin zur Speicherung strukturierter Daten in Form der Medizinischen Informationsobjekte (MIO).

Aus Sicht des Krankenhauses erweitert die ePA die Datenbasis als Grundlage einer optimierten Versorgung des Patienten. Da die ePA alle wichtigen Daten und Dokumente aller an der medizinischen Versorgung des Patienten beteiligten Personen und Institutionen beinhaltet, entfällt die Integrationsnotwendigkeit von Daten aus früheren Aufenthalten im selben Krankenhaus. Alle relevanten Daten und Dokumente sind in der ePA ohnehin enthalten. Krankenhäuser werden die bei ihnen entstandenen Daten nicht mehr aus medizinischen Gründen, sondern vor allem aus juristischen Gründen immer noch speichern, und das ebenfalls in der Cloud. KIS mutieren somit zu Betriebssystemen, die ePA-Daten zum Zeitpunkt der Patientenaufnahme importieren, um sie bei Entlassung aus dem Krankenhaus, ergänzt um die während der Behandlung angefallenen Daten und Dokumente, wieder zu exportieren.

Im Jahr 2030 wird die patientenbezogene ePA zur Grundlage jeglicher medizinischen Versorgung eines Patienten. Die ePA-Daten werden zum Zweck der Krankenhausbehandlung in das KIS importiert und mit Abschlusss der Behandlung, ergänzt um alle relevanten Daten, wiederum in die ePA exportiert.

Derartige Veränderungen von isolierten, lokalen zu integrierten, in die Cloud verlagerten Systemen sind z.B. aus dem Bereich von Office-Software bekannt: Microsoft Word, Excel und Powerpoint waren früher eigenständige (und ursprünglich zu Beginn auch von verschiedenen Firmen entwickelte) Softwareprodukte. Diese wurden dann unter dem Marketing-Begriff „Microsoft Office“ gebündelt und als gemeinsames Paket verkauft – die dabei versprochene Integration der Produkte wurde später zunehmend nachgeliefert. Heute wird das entstandene System vorzugsweise als Cloud-Version verkauft und ist längst nicht mehr auf bestimmte Betriebssysteme angewiesen, sondern funktioniert auch auf Tablet und Smartphone. Noch einen Schritt weiter geht die Office-Konkurrenzversion von Google: Hier gibt es mit den Chromebooks sogar Endgeräte, die nur noch ein Basisbetriebssystem zum Erreichen der Google-Cloud beinhalten und dadurch technisch einfach, robust und wartungsarm ausgelegt sein können. Hier findet dann die nahtlose Integration in die dort „Workplace“ genannte Softwareumgebung statt. Ob eine solche tiefe Immersion im Gesundheitswesen auch realisiert wird, wird die Zeit zeigen – Ansätze dazu sind auf jeden Fall zu erkennen.

Auch 2030 wird es also noch ein KIS geben – aber dieses wird völlig anders gestaltet sein als die heutigen Systeme. Wichtige Kernelemente der zukünftigen Struktur sind semantische und syntaktische, aber auch funktionale Interoperabilität bei Nutzung internationaler Standards. Ebenfalls dazu gehören werden Modularität inklusive Nutzung Cloud-basierter Services sowie Fokussierung auf Prozessunterstützung durch algorithmenbasierte Nutzung strukturierter Daten in Echtzeit. An die Stelle lokal installierter, isolierter KIS wird als führende digitale Struktur für Datenspeicherung und Verarbeitung die patientenbezogene ePA auf Cloud-Plattformen als zentraler Bestandteil eines Nationalen Gesundheitsinformationssystems (NGIS) rücken. Daran werden sich die KIS der Zukunft orientieren müssen.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Werk Digitalisierung im Krankenhaus herausgegeben von Ecky Oesterhoff, Peter Gocke, Henning Schneider und Jörg F. Debatin.



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