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Der digitale Patientenzwilling

Peter Aulbach

Bis 2025 werden weltweit täglich über 463 Exabyte an Gesundheitsdaten erzeugt (Desjardins 2019). Diese können ohne innovative und interoperable Lösungen nicht effektiv genutzt werden. Angesichts der alternden Gesellschaft werden die Gesundheitskosten explodieren, insbesondere die Kosten im Zusammenhang mit chronischen Krankheiten. Während sich Leistungserbringer im Gesundheitswesen mehr auf die Behandlungswirksamkeit und Kostensenkung konzentrieren, vergleichen Patient:innen die Gesundheitsleistungen bzgl. Preis und Qualität. Die Folge: ein Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Gesundheitsplattformenwerden zukünftig für nahtlose Interoperabilität und Datendurchlässigkeit sorgen. Neben dem Datenschutz muss dazu auch der abteilungsübergreifende „Datennutz“ in den Vordergrund treten. Durch den Zugang zu internationalen Portfolios von transformativen und KI-gestützten Anwendungen für die operative, klinische und gemeinsame Entscheidungsunterstützung bilden Plattformen die Basis für die digitale Transformation im Gesundheitswesen.

1. Die Basis für digitale Transformation im Gesundheitswesen

Die Verbesserung der betrieblichen Effizienz und die Unterstützung klinischer Prozesse ist eine der größten Herausforderungen für Gesundheitsdienstleister. Dafür ermöglichen Plattformen abteilungs- und einrichtungsübergreifende Interoperabilität in einer sicheren und gesetzeskonformen Umgebung. Ausschlaggebend für den Erfolg ist die Verbindung von Geräten und Systemen, die Zusammenführung von Daten und die Bereitstellung fortschrittlicher Analysen, welche handlungsfähige und handlungsorientierte Erkenntnisse ermöglichen. Diese können von Gesundheitsversorgern zur Effektivitätssteigerung klinischer Routinen genutzt werden.

Basierend auf individuellen, infrastrukturellen Anforderungen und Präferenzen werden geeignete Geschäftsmodelle und Einsatzszenarios ermöglicht. Somit bieten Plattformen allen Marktteilnehmern die Möglichkeit zur zukünftigen Bereitstellung von Software und KI-basierten Komponenten. Durch Wiederverwendung werden eine schnellere, kostengünstigere und harmonisierte Entwicklung und Produktion von medizintechnischen Endprodukten und Services ermöglicht. Der entstehende Datenaustausch unter Marktteilnehmern, Partnern, Institutionen und Versicherern, unter zielgerichteter Einbeziehung der betroffenen Patient:innen, erlaubt es, softwarebasierte Innovationen in kürzeren Zyklen zu kommerzialisieren und in Verkehr zu bringen. Dies schließt Delivery, Feedback-Cycle und Abrechnungsmodelle wie Subscription, Pay-per-Use etc. ein.

Die Gesundheitsdaten auf den Plattformen bildengrundlegende Bausteine für eine digitale Medizin-Zwillingsinfrastruktur. Jedoch liegen Gesundheitsinformationen heute noch verstreut in papiergebundenen und elektronischen Datensilos. Eine Vernetzung der Daten über den digitalen Zwilling ermöglicht einen stärker integrierten Ansatz, in Bezug auf Erhebung, Bereitstellung und automatisierte Verarbeitung. Dies führt zu wirksameren Interventionen und höherer Versorgungsqualität. Zeitgleich wird der Fachkräftemangel adressiert und der Zugang zur Gesundheitsversorgung erweitert.

2. Biophysiologische Datenmodelle im Versorgungs- und Betreuungskontinuum

Konzepte von digitalen Zwillingen in der Gesundheitswirtschaft und in der Gesundheitsversorgung gehen davon aus, dass es digitale Zwillinge von Patient:innen, Diagnoseverfahren, Therapien und ganzen Krankenhäusern geben wird (Ärztezeitung 2017; Coorey et al. 2021; PWC 2018). Künftig können medizinische digitale Zwillinge digitale Rohdaten verwenden, um relevante Daten zu verstehen, das Rauschen zu durchbrechen und ein Abbild der Realität zu erfassen. Ebenso wichtig ist, dass die Rohdaten wiederzusammengesetzt werden können, um digitale Zwillinge von Gesundheitsorganisationen oder Arzneimitteln und medizinischen Geräten zu erstellen. Das verbessert medizinische Prozesse und Ergebnisse und birgt ein Kostensenkungspotenzial.

Ein digitaler Zwilling sollte ein Datensystemdarstellen, das longitudinale Biodaten erfassen und aus dem stetig wachsenden Datensatz lernen und Ableitungen treffen kann, um den Gesundheitszustand einer Person widerzuspiegeln. Dies beginnt mit der Messung und Verfolgung von Biodaten, wie Cholesterinwerten, Vitaminspiegel und Ergebnissen medizinischer Bildgebung sowie den aus ihr gewonnenen Imaging Biomarkern. Zudem müssen auch komplexere Datenpunkte, wie Genom-, Epigenetik-,Metabolom- und Immunfunktionsdaten, einbezogen werden. Noch sind wir nicht systematisch in der Lage, diese Datensätze miteinander zu verknüpfen und Erkenntnisse zielgerichtet und übergreifend für das Verständnis der Veränderungen auf künftige Gesundheitsentwicklungen oder der Automatisierung medizinischer Prozesse zu nutzen. In der nächsten Phase ist es wichtig, die Daten zusammenzuführen, zu standardisieren bzw. zu kodieren, um digitale Zwillinge in größerem Maßstab zu erstellen (Lawton 2022).Dadurch kann das Betreuungskontinuum noch individueller und präziser werden.

3. Digitaler Patientenzwilling keine Science-Fiction mehr

Mit Hilfedigitaler (in silico) Doppelgänger werden Ärzt:innen immer bessere Vorhersagen über Erkrankungen, deren Verlauf und effektivste Behandlungen für einen Menschen treffen Der Patientenzwilling verknüpft individuelle Gesundheitsdaten in Echtzeit und gleicht sie fortwährend mit Ergebnissen aus Populationsstudien, Daten spezifischer Krankheitsbilder sowie Krankheitsverläufen, Medikationen, Diagnostiken oder Therapien anderer Betroffener ab. Unter Berücksichtigung von Evidenzen, klinischen Leitlinien und gesundheitsökonomischen Aspekten ermöglicht er Medizinern so ein ganzheitliches, individuelles, übergreifendes Vorsorge- oder Behandlungsregime (Fraunhofer Gesellschaft 2021).

Diese Simulationen vom Gesundheitszustand der Patient:innenbasieren auf biophysiologischen Datenmodellen, die mithilfe von Algorithmenerstellt werden. Es gibt bereits Organ-Simulationen, die sehr weit entwickelt sind – wie etwa bei Gehirn (Voigt et al. 2021) und Gefäßen (Zimmermann et al.2021).

Es ist noch ein langer Weg, den digitalen Patientenzwilling im Gesundheitswesen umfassend und übergreifend zu realisieren, da neben der Vernetzung, Daten strukturiert und annotiert werde nun Patient:innen zu jeder Zeit über ihre Daten entscheiden können müssen. Auch muss das medizinische Fachpersonal Zugriff auf die aufbereiteten Informationenhaben und die digitale Oberfläche anwenden können. Diese Technologie ist keine Science-Fiction mehr. Das Konzept des digitalen Patientenzwillings baut auf bereits aktive KI-basierte Anwendungen auf.

Grundlage für die Anwendung des digitalen Patientenzwillingsund Verknüpfung der Patientendaten über intelligente Sensoren ist eine digitale Infrastruktur. Bildgebende Verfahren ermöglichen Einblicke in den menschlichen Körper und sind in allen klinischen Fachbereichen relevant. Computer-,Magnetresonanz- und Positronenemissionstomographen sind sehr komplexe und leistungsstarke Sensoren, die sich individuell einstellen können, um sehr schonend und schnell die geforderten Daten zu erheben. Neben morphologischen Daten sind das zunehmend auch physiologische und funktionale Daten, die zusammen Imaging Biomarker darstellen (Weiss et al. 2020).

4. Automatisierung der Datenerhebung und Datenauswertung

Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz lassen sich Routineprozesse in der Radiologie automatisieren (Siemens Healthineers 2022a; Siemens Healthineers 2022b). Diese Fähigkeiten sind bspw. in der Onkologie gefragt. So können Bildfehler, die durch Atmung (Schulz et al. 2021) oder zu hohe, irreguläre Herzraten (Pontone et al. 2019). der Patient:innen entstehen, reduziert werden. Über Sensoren und Algorithmen werden die Körper- und Organbewegungen ausgewertet (Siemens Healthineers 2022c). Die Aufnahme des Computertomographen wird automatisch ausgelöst, sobald optimale Bedingungen für die bestmögliche Bildqualität vorherrschen (Sharma et al. 2020). Das ist besonders hilfreich, um etwa Lungenkrebs zu diagnostizieren und das Fortschreiten dieser Erkrankung nachzuverfolgen (Varian 2019).

Zudem hilft Künstliche Intelligenz bei der Auswertung und Systematisierung großer Mengen an Bilddaten. Damit lassen sich die Imaging Biomarker automatisch extrahieren und bspw. gutartige von bösartigen Strukturen unterscheiden. Solche Auffälligkeiten sind dem menschlichen Auge teils schwer oder gar nicht zugänglich.

5. Simulation für die Planung und Durchführung von Therapien

Auch in der Strahlentherapievorbereitung ist der digitale Patientenzwilling von Nutzen. Mittels Künstlicher Intelligenz können Tumorkontraste, -grenzen und -volumen sowie Gewebeveränderungen automatisiert bestimmt werden. Dadurch lässt sich bei der Konturierung der Risikoorgane bis zu eine Stunde je Patient sparen. Wobei die besten KI-basierten Konturierungsergebnisse auf speziell ausgeleiteten Rohdaten des CT Gerätes beruhen, die nicht für die Befundung durch das menschliche Auge optimiert sind (Kratzke et al. 2021).

Durch Datenmodelle lassen sich die Dauer, Dosis und Häufigkeit der einzelnen Bestrahlungseinheiten individuell optimieren. In einer klinischen Studie, die 2019 im Fachjournal Lancet veröffentlicht wurde, konnte das für die Strahlentherapie von Lungenkrebs nachgewiesen werden. Demnach erzielt diese Methode ein bis zu 45% besseres Behandlungsergebnis als eine Standardbestrahlung (Lou et al.2019).

KI- und robotergestützte Neurointerventionen, basierend auf digitalen Patientenzwillingen, eröffnen neue Dimensionen im Bereich der zerebrovaskulären Therapeutik (Madder et al. 2021; Sardar et al. 2019). Bei der Notfallbehandlung des Schlaganfalls kann zukünftig eine katheterbasierte Therapie, wie bei Thrombektomie oder Coiling, aus der Ferne (Mendes Pereira et al. 2020; Siemens Healthineers 2022d) oder hochautomatisiert durchgeführt werden, um die Dauer von den ersten Anzeichen bis zum therapeutischen Eingriff so minimal wie möglich zu halten.

6. Der Mehrwert digitaler Patientenzwillinge

Der Mehrwert des digitalen Patientenzwillings für ein Krankenhaus ergibt sich aus der Vielzahl der möglichen Anwendungen in der Medizin und in der Verwaltung, die eine optimierte Steuerung der Gesundheitsversorgung ermöglichen. Diese Technologie wird unerlässlich in der klinischen Routine sein, um die wachsenden Datenmengen in entscheidungsrelevantes Wissen zu übersetzen. Bisher sind die Diagnose und Therapie von chronischen Erkrankungen vor allem in Kardiologie, Neurologie oder Onkologie sehr komplex, aufwändig und kostenintensiv. Der digitale Patientenzwilling ermöglicht es, die vorhandenen Ressourcen bewusster im Sinne der Patient:innen, Kliniken und Gesundheitssysteme einzusetzen.


Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Plattformen und Tech-Giganten" herausgegeben von David Matusiewicz. Alle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.


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