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Selbstorganisation von Pflegediensten

Chefs wissen es (n)immer besser! Vier Pflegedienste auf dem Weg in die Selbstorganisation – eine Geschichte zum Mut machen und Anstiften

YVES MICHAELIS

Ein kurzer Ausblick für die verschiedenen interessierten Leser:innen

  • Für Berater:innen und Prozessbegleiter:innen: „Ja, wir wissen wie es geht!“ Also meistens jedenfalls, also zwischen den Lernschleifen schon, also für unsere Kultur jedenfalls. Dazu gleich mehr.
  • Für Betriebswirtschaftler:innen: Die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit ist signifikant gesunken, die Fluktuation hat sich sehr deutlich reduziert, zu Mitbewerbern wechselt fast niemand mehr. Und die Rendite ist so hoch, wie noch nie. Erstaunlich, denn sie war uns, bis auf eine Basisrendite, egal geworden.
  • Für Chef:innen: Es wird eine sehr herausfordernde Lebens- und Arbeitsphase. Vielleicht die anstrengendste in Eurem Berufsleben aber auch die Beste und Nachhaltigste. Und sie fängt zuallererst bei euch an und nicht bei Euren Leuten.
  • Für Mitwirkende in der Organisation: Auch für euch wird es sehr herausfordernd und anstrengend, aber das Arbeiten wird so herrlich sinnhaft, dass es tatsächlich Spaß und Freude machen wird. Wirklich. Und Eure Kunden werden eine tolle Dienstleistung erleben und euch gut finden. Unsere erste Wohngemeinschaft in Selbstorganisation (ohne Führungskraft) gibt es bereits seit drei Jahren. Und keiner will mehr weg.
  • Für „Damit die Ergebnisse richtig steigen, mache ich mal (bisschen) New Work“: Lest nicht weiter, hier erfahrt Ihr nichts, was euch bei Eurem Ansatz weiterhelfen wird. Ja, ich bin sogar überzeugt, dass ihr „echtes“ New Work so nie erleben werdet.

Unser Weg in die Selbstorganisation

Wir sind vier Pflegedienste aus dem Born Gesundheitsnetzwerk mit Hauptsitz in Dortmund, die seit vielen Jahren außerklinische Intensivpflege in der Häuslichkeit für Kinder und Erwachsene sowie in Wohngemeinschaften anbieten. Wir sind aktiv in drei Bundesländern mit ein paar hundert Kolleg:innen.

Nein, wir hatten nie vor, New Work bei uns zu machen oder zu leben.

Nein, wir hatten nie vor, New Work bei uns zu machen oder zu leben. Wir kannten diese Bewegung gar nicht. Heute, ein paar Jahre später, würde sich Frithjof Bergmann bei uns wohl fühlen. Wir sind gar nicht mit New Work gestartet, jedoch darin gelandet und fühlen uns wirklich wirklich an der richtigen Wirkungsstätte. Wie konnte das passieren? In 2010 konzentrierten wir uns auf den Markteintritt und -Durchdringung in der außerklinischen Intensivpflege. Damals war sie eher in einer Nische zu finden als in aller Munde. Die klassischen Strukturen von Gesundheitsorganisationen erlebte ich hier als wenig erfolgreich. Pflegefachkräfte pendeln zwischen ihrer Wohnung und der Wohnung der Kunden. Es gibt keinen betrieblichen Ort der Übergabe, keine Teams im soziologischen Sinne. Nur ein abklatschen am Versorgungsort. Und fast alle Pflegefachkräfte berichteten, dass die größte Herausforderung nicht die Kunden, sondern die Angehörigen, die Familie, das Umfeld wären.

Eine Überforderung an mehreren Stellen. 12 Stunden allein (keine Kolleg:innen) beim Kunden innerhalb seiner Wohnung und Familie verbringen. Teil der Familie werden ohne Teil der Familie sein zu wollen. Die Fluktuation war immens. Ungefähr alle 1,5 Jahre erneuerten wir uns. Konkret heißt das, dass wir in den ersten drei Jahren von 20 auf 300 Pflegefachkräfte wuchsen. Und dennoch ca. 130 Pflegefachkräfte jährlich die Unternehmen verließen. Das ging uns gehörig gegen den Strich, auch wenn es branchenüblich war.

Also haben wir losgelegt und haben Personal- und Organisationsentwickler eingestellt. Tools und Interventionen wurden konzeptioniert und eingeführt. „Das war schon immer so“ haben wir ins Gegenteil gekehrt. Und sind dabei nicht selten auf der anderen Seite vom Pferd heruntergefallen. Die Entscheider-Ebene war häufig schneller als die Umsetzer-Ebene. Ja, wir haben schon damals die Kolleg:innen mit ins Boot genommen, haben uns ihre Sorgen angehört und darauf reagiert. Wir haben uns mit unserer Kultur beschäftigt. Vision, Mission und Leitlinien erarbeitet (innerhalb der Geschäftsführung) und mit der Mannschaft diskutiert. Wir haben sehr gute, menschenfreundliche Konzeptionen entwickelt und eingeführt. Nur am Ende hat es keinen Unterschied gemacht. Die Fluktuation blieb unverändert hoch und die Arbeitsunfähigkeits-Tage gingen nur in geringer Anzahl zurück. Es gab weiterhin zu viele Eskalationen zwischen Pflegefachkräften und Angehörigen. Wir haben innerhalb von 1,5 Jahren so viel an guten Tools und Interventionen eingeführt und angewendet, wie ich es im Krankenhaus in 10 Jahren nicht erlebt hatte.

Waren Mitarbeiterbeteiligung, Kooperation, Augenhöhe etc. also nur eine schöne Vision von Autoren in ihren Büchern? 

Waren Mitarbeiterbeteiligung, Kooperation, Augenhöhe etc. also nur eine schöne Vision von Autoren in ihren Büchern? Die Organisationsform einer klassischen Hierarchie widerstrebte mir jedoch weiterhin zutiefst. Warum? 15 Jahre hatte ich in Krankenhäusern gearbeitet und diese Organisationsformals nicht funktionierend erlebt. Regeln und Delegation gab es viele. Gelebt wurde jedoch etwas anderes. Chef:innen waren nun mal keine Experten, sie wussten nicht, wie es an der Basis läuft, bzw. was es wirklich braucht. Somit waren ihre Anordnungen, Delegation häufig nicht zielführend. Im Krankenhaus wollten wir Pflegekräfte auch keinen angeordneten Unsinn umsetzen, sondern sinnvoll arbeiten. Es entstanden Schattenorganisationen in denen wir unsere informellen Regeln erstellten und lebten. Und mal ehrlich: Steuerten die Chef:innen wirklich? Im Grunde waren sie abhängig von den Informationen, die wir ihnen gaben. Somit haben wir die Chef:innen gesteuert. Hatten sie es z.B. auf jemanden von uns abgesehen, hat der Rest eines funktionalen Teams den Fokus auf andere Probleme gelenkt und die Kolleg:innen aus der Schusslinie gebracht. Andererseits waren unsere Anforderungen an Chef:innen im Krankenhaus völlig drüber. Wir erwarteten, dass sie kompetent sind in: Organisationsentwicklung, Personalentwicklung, Betriebswirtschaftslehre, Konfliktlösungen, Strategieentwicklung, Pflegeexperten, Marktbeobachten, Netzwerken, Gesundheitspolitik, gute Ansprachen vor vielen Menschen halten usw. Ich sag ja, völlig drüber.

Eine klassische Hierarchie wurde von mir weiterhin abgelehnt, die geschäftsführenden Gesellschafter waren an einer guten Kultur und Wachstum interessiert. Der nächste Schritt war für uns klar, Hosen runterlassen und schauen, was los war. Ein externer Prozessbegleiter führte einen Diagnoseworkshop im Unternehmen durch. Es war vereinbart, dass wir, die Geschäftsleitung, nicht daran teilnehmen. Seine Diagnose lautete:

„Ihr habt tolle Menschen in Eurer Mannschaft. Sie sprühen vor Ideen und Initiative. Sie sind hungrig nach tollen Ergebnissen und möchten sich tatkräftig einbringen. Sie haben Freude an der Pflege und Umgang mit Menschen. An einer Stelle in der Organisation jedoch wird die Mannschaft verunsichert, in ihrer Initiative abgewürgt oder gar abgewertet. Diese Stelle ist die Geschäftsleitung“.

Diese Diagnose saß. So viele Konzeptionen, Tools und Interventionen – ohne die beabsichtigen Ergebnisse zu erreichen. Der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken. Und in unserem Fall gab es drei Personen am Kopf/in der Geschäftsleitung mit unterschiedlichen Zukunftsbildern und unterschiedlichen Menschenbildern. Wir irritierten die Mannschaft durch unser Verhalten, durch die unterschiedlichen Verhältnisse, die wir schufen. Klar ist, wenn ein Mitarbeiter von zwei Chef:innen zwei unterschiedliche Anweisungen erhält, ist Nichtstun ein schlaues Verhalten. Wer wird schon gern zum Spielball. Darüber hinaus wurde uns jedoch bewusst, dass auch ein unterschiedliches Menschenbild und damit verbundene unterschiedliche Visionen, ein unterschiedliches „Wofür?“ zum Stillstand führen kann. Chef:innen geben die Orientierung in Organisationen vor. Die offiziell verkündeten Regeln sind nicht entscheidend, sondern die informellen Regeln, die geheimen Regeln, also das, was Chef:innen vorleben – und nicht, was sie laut sagen.

Es folgte meine anstrengendste Zeit in der Organisation. Ich musste mich positionieren. Klar und deutlich. Innerhalb der Geschäftsführung (als angestellter Geschäftsführer) und in der Mannschaft. Zuerst wollte/musste ich mich mit mir auseinandersetzen. Woran glaube ich? Was sind meine Werte? Was sind meine Glaubenssätze? Wofür stehe ich? Was triggert mich? Was treibt mich an und was bremst mich? Wie sehr kann ich mich annehmen mit meinen Stärken und Schwächen, mit all dem, was mich ausmacht? Und wie gelingt mir Selbstannahme/Selbstliebe um gut in die Konflikte mit Anderen gehen zu können? Im Coaching fuhr ich Achterbahn. Höhen und Tiefen, Freude und Tränen wechselten sich ab. Und es war so sehr erforderlich, um eine Klarheit für mich zu erhalten, die auch die erforderliche Klarheit für meine Kolleg:innen war.

Zeitsprung in das Jahr 2021

Der geschäftsführende Gesellschafter hat sich aus den vier Pflegediensten zurückgezogen. Er hat die mutigste und wichtigste Entscheidung seiner bisherigen Unternehmerzeit getroffen. Er hat die Bedürfnisse der Pflegedienste vor seine gestellt. Er bleibt Gesellschafter, jedoch ohne operative Verantwortung.

Meine Kolleg:innen und ich haben uns noch einmal intensiv mit unserer Kultur auseinandergesetzt. Purpose, Vision, Mission wurden neu geschrieben. Aus dem Herzen heraus. Emotional berührend, wahrhaftig und echt. Wir haben zu Papier gebracht, woran wir glauben. Und wir haben es nicht auf Papier verteilt oder auf Fluren ausgehängt. Denn da macht es keinen Unterschied, keine Wirkung. Wir integrieren es in unsere tägliche Arbeit und bei Strategieprozessen. Wir möchten euch teilhaben lassen, Ihr findet sie in der Tabelle:

Purpose

Wir begegnen Menschen uns selbst liebend, wertschätzend, vertrauensvoll, herzlich & zugewandt in konfrontativer Aufrichtigkeit, damit uns allen ein bewusstes, einander bereicherndes, kraftvolles Er-/Leben in tiefer Zuversicht, in Verbundenheit und Gemeinschaft in einer vielfältigen Gesellschaft in Frieden möglich wird. Innerer Frieden – Frieden in der Gemeinschaft.

Vision

Wir sorgen für eine Welt in der mit dem Herzen gesehen wird und in der jeder Mensch einen Platz findet, an dem er wirklich sein will. Für eine Welt, in der aus Bedürftigkeit Bedeutsamkeit wird und die intensiv pflegen zu intensiv leben wachsen lässt.

Mission

Für unseren Kunden: Wir wissen, dass Krankheit eine Familienangelegenheit ist. Deshalb versprechen wir, Sie und Ihre Familie als wertvolle Menschen bedingungslos anzunehmen und Ihnen Halt und Fürsorge für ein eigenverantwortliches, von Ihnen gewünschtes Leben in Selbständigkeit zu geben. Weil Sie es verdienen aufzublühen, sind wir an Ihrer Seite!

Für die Kostenträger: Wir begegnen Ihnen zugewandt und ehrlich und sind mit Verständnis für Ihre Prozesse ein verlässlicher, unkomplizierter und fairer Partner. Für ein solidarisches Miteinander ist es an jedem Tag unser höchstes Ziel, unsere gemeinsamen Kunden in die größtmögliche Selbstständigkeit und Zufriedenheit zu begleiten. Und so sind wir mutige und neugierige Wegbereiter, die Bestehendes weiterentwickeln und mit Leidenschaft neue Pfade beschreiten.

Für unsere Mitwirkenden: In unserer gemeinsamen Verantwortung für den Kunden versprechen wir einander für ein Umfeld zu sorgen, in dem jeder Einzelne als wertvoller Teil des Ganzen gesehen wird. Durch eine Kultur der Selbstverantwortung und der wertschätzenden und zugewandten Klarheit laden wir uns gegenseitig ein, uns mutig auszuprobieren und unterstellen einander das Beste. Dadurch schaffen wir für Alle einen friedvollen Raum, in dem wir Stärken und Potenziale entdecken und aufblühen lassen. Jeder Einzelne gestaltet somit die eigene Zukunft und die der Organisation. Damit nehmen wir Einfluss auf das Wohlbefinden aller Mitwirkenden und die Gesundheit des Unternehmens. Wir sind, weil Du bist!

Wir befinden uns in einem Übergang

Das Thema Führung ist und bleibt relevant auch in einer Selbstorganisation. Allerdings muss Führung nicht durch (überforderte) Führungskräfte erfolgen. Und unsere Wohngemeinschaft am Hoeschpark I zeigt bereits seit drei Jahren deutlich, dass keine Führungskraft benötigt wird. Wir haben dort sehr zufriedene Kunden, Angehörige, Betreuer, Co-Therapeuten und Mitwirkende. Die Worte Fluktuation und fragliche Arbeitsunfähigkeits-Tage gehören dort nicht zum Wortschatz. Bezugspflege, mehrtägige Ausflüge mit Kunden, Konfliktgespräche, kollegiale Beratung und mehr sind alles Angelegenheiten des Teams. Bei Bedarf holen sie sich Experten dazu – sei es Prozessbegleiter für die Teamentwicklung, Controller zum Verstehen und Steuern über Kennzahlen oder Atmungstherapeuten für die Beatmungsentwöhnung. „Die/der Gefragte führt.“ ist eine weitere Regel in unseren Organisationen. Wie gelingt das gut?

Selbstorganisation bedeutet nicht die Abwesenheit von Organisation, sondern gibt den klaren Hinweis, wo die Organisation erfolgt, nämlich im und durch das Team.

Freiheit braucht Regeln! Selbstorganisation bedeutet nicht die Abwesenheit von Organisation, sondern gibt den klaren Hinweis, wo die Organisation erfolgt, nämlich im und durch das Team.

Das Team setzt sich sehr häufig zusammen und auseinander. Welche Regeln benötigen sie, welche sind zielführend und welche machen keinen Sinn und können weg? Welches sind geeignete Entscheidungsformen? Wie gut gehen sie mit Konflikten um? Eine Zwangsharmonie ist aus meiner Erfahrung der Tod der Selbstorganisation. Wie sorgen sie für gegenseitiges Vertrauen? Und wie gehen sie mit den Budgets um, über die sie verfügen? Welche Stärken hat konkret das einzelne Teammitglied und wie kann es diese hier konkret einbringen? Ein weiteres großes Lernfeld: „Machen ist wie reden, nur krasser!“ Was bedeutet es, über machen zu lernen.Scheitern ist kein Fehler, sondern hat einen Mehrwert. Nachzuweisen, wie es konkret nicht funktioniert. Und gerade hier können individuelle oder Team-Glaubenssätze behindern, z.B. Scham, nur Anerkennung über Leistung, keine Fehler machen usw. Wir mussten uns ebenso klar werden, welche Leistungen nicht durch ein selbstorganisiertes Team erfolgen müssen oder zielführend sind. So liegen z.B. Vertragsgestaltungen oder Vergütungsverhandlungen weiter zentral bei Experten.

Wir tragen Sorge, dass die Kolleg:innen in der Pflege sich nicht von der eigentlichen Dienstleistung zu weit entfernen müssen. Wenn jemand Interesse an den Themen hat, ist eine Hospitation z.B. in der Vergütungsverhandlung oder Schiedsverfahren möglich.

Wir probieren uns ebenfalls in unserer Meetingkultur aus. Wann sind welche Meetings für wen zielführend und welche können abgeschafft werden? Diese Frage stellen wir uns regelmäßig. Unser Learning ist, dass es nicht die richtige, endständige Meetingstruktur gibt, sondern diese durch mehrere Faktoren beeinflusst wird. Und auf Veränderung von außen reagieren wir zügig durch Anpassung. Hier liegt die große Kompetenz und Vorteil von reifen Selbstorganisationen. Eine Selbstorganisation sagt nicht: „Aber es war doch schon immer so!“ sondern zielt auf „arbeiten mit dem, was da ist“ ab.

Eine Selbstorganisation sagt nicht: „Aber es war doch schon immer so!“ sondern zielt auf „arbeiten mit dem, was da ist“ ab.

Eine Voraussetzung dabei ist ein geklärter erlebbarer Purpose sowie Vision und Mission. Diese bilden den Rahmen ab innerhalb dessen die Mitwirkenden zielführende, kluge Entscheidungen selbständig treffen.

An der Stelle möchte ich unbedingt auch über die schmerzhaften Momente sprechen. Zu erleben, wie verdiente langjährige Führungskräfte das Unternehmen oder die Stelle verlassen, da sie Führung sehr mit der Rolle Führungskraft verknüpfen, machte es mir nicht leicht. Im Grunde waren die Menschen dieselben geblieben, die Organisation hatte sich weiterentwickelt. Und eine gesunde Selbstorganisation fordert am Anfang die Auseinandersetzung mit der eigenen Person, wie organisiere ich mich selber? Hier hat das Coaching durch externe Coaches vielen unserer Kolleg:innen Klarheit gebracht. Da es keine Führungskraft mehr gibt, der ich meinen Konflikt mit einem Kollegen delegieren kann, muss ich selber ran. Ich muss in den Konflikt gehen. Mit meinen Befürchtungen, Zuschreibungen und Emotionen. Das kann auch sehr unangenehm bzw. schmerzvoll sein, gerade am Anfang, wo ich noch keine Übung und positive Erfahrungen damit habe.

Wir sind nicht auf einer grünen Wiese gestartet, sondern entwickeln uns im laufenden Geschäftsbetrieb weiter. Das setzt eine Menge an Veränderungen voraus. Und Veränderungen mögen wir überhaupt nicht. Das Ungewisse und Unbekannte ist für uns anstrengend. Wir sind Energiesparer und das gelingt uns durch Routine. Doch die Routine ist an vielen Stellen nicht mit Selbstorganisation verträglich. Hier hilft eine systemische Sichtweise deutlich weiter. Widerstand, ein Festhalten am alten System ist normal und nachvollziehbar, darf aber nicht ein Dauerzustand bleiben. Hier braucht es starke, belastbare Visionen zum Durchhalten, eine gute Prozessbegleitung sowie reichlich Betrachtungen/Reflexionskompetenz aus der Metaebene. Richtig wertvoll sind die Lernschleifen und weniger die Zeit dazwischen.

  • Veränderung ist keine Phase mehr, sondern wird zum normalen Dauerzustand.
  • Wir erleben unsere Arbeit als tief sinnvoll und zielführend.
  • Wir zeigen uns als Person und erleben Mitgefühl.
  • Wir dürfen sein!
  • Und wir sind nicht mehr in der Lage, in einer hierarchischen Organisation zu arbeiten, erleben das jedoch nicht als Nachteil.

Eine häufig gestellte Frage an mich lautet: „Welche Tools garantieren eine erfolgreiche Umsetzung?“ Die garantierte Antwort von mir: „Keines. A fool with a tool is still a fool.“ Was ist aber dann zielführend?

Fünf Antworten aus meiner Perspektive und meinen Erfahrungen:

  • 1. Auch ich ringe täglich um den Purpose. Ja, er ist so anziehend und ich spüre eine tiefe Sehnsucht, so leben/arbeiten zu wollen. Und doch fordert es mich sehr heraus. Und das ist auch absolut in Ordnung. Es bleibt ein Prozess mit Lernschleifen.
  • 2. Ich bin mir bewusst, dass meine „Macht“ in den Unternehmen mit meiner Rolle als Geschäftsführer verknüpft ist. Diese Rolle ist mit „Macht“ ausgestattet. Die Besetzung dieser Rolle ist austauschbar, es ist also keine „Macht“, die mir als Person, als Yves zusteht. Und dieses Bewusstsein lässt mich demütig handeln.
  • 3. Konzepte sind gut, Narrative sind wichtiger. Mein Job ist nicht das Mikromanagement, sondern allen Mitwirkenden immer wieder (vor allem während der Übergangsphase) bewusst zu machen, wofür wir die Transformation gestalten, an was wir glauben.
  • 4. „Der Fisch fängt am Kopf an zu stinken!“ Ich bin mir bewusst, dass mein Reden nur soweit wirkt, wie es mit meinem Handeln übereinstimmt. Ich reflektiere mich täglich darauf.
  • 5. Ohne Vertrauen meinem Gegenüber wird es nix. Und noch eine Stufe vorher – ohne Vertrauen in mich selber wird es nix.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "New Work in Healthcare" herausgegeben von Patrick Merke. Alle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.


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