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Medizinische Angebote für deutsche Patienten

Anna Białk-Wolf

Großer Kostendruck veranlasst die Deutschen, medizinische Leistungen im Ausland zu suchen. Laut mehrerer Umfragen kann sich über die Hälfte von befragten Deutschen vorstellen, eine medizinische Behandlung im Ausland durchführen zu lassen (MEDIZINTOURISMUS IUBH Touristik-Radar 2016). Zwar genießt das deutsche Gesundheitswesen sowohl im Ausland als auch bei den Einheimischen sehr große Wertschätzung, jedoch müssen viele Leistungen zum Teil privat mitfinanziert werden oder deren Inanspruchnahme ist mit längeren Wartezeiten verbunden. Einwanderer aus anderer Länder in Deutschland bevorzugen es, für medizinische Leistungen in ihr Heimatland zu reisen. Dies erfolgt entweder aufgrund kultureller Nähe oder – besonders bei längeren Aufenthalten – wegen der Sehnsucht nach ihrem Heimatland und dem Bedürfnis, die Heilung mit einem längeren Aufenthalt zu verbinden. Ein anderer Aspekt des Medizintourismus sind Schönheitsoperationen, die nicht nur wegen günstiger Preise gern im Ausland durchgeführt werden, sondern auch wegen größerer Anonymität, die weit entfernt vom Heimatort einfacher gewährleistet werden kann. 

Laut den Ergebnissen einer von der ERGO Direkt Versicherung durchgeführten Internetforschung von 2014 waren 5% der Deutschen schon mindestens einmal ins Ausland gereist, um dort eine medizinische Behandlung durchführen zu lassen. Hierbei sind Jüngere aktiver als Ältere. Am häufigsten werden zahnärztliche Behandlungen und Schönheitsoperationen in Anspruch genommen. Zwar gibt es ab Oktober 2020 mehr Zuschüsse für Zahnersatz – statt bisher 50–65% werden nun 60–75% der Regelleistung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet – dennoch bleibt diese Leistung weiter ein interessantes Produkt für deutsche Patienten im Ausland.

Polen ist zunehmend ein beliebtes Reiseziel deutscher Patienten, die dort medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. Die Gründe hierfür liegen unter anderem in der geografischen Nähe und in der direkt damit verbundenen kulturellen Nähe. Die Anreise ist aufgrund direkter Flugverbindungen und schneller Autobahnverbindungen bequem möglich. Das Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten wird ständig erweitert und bietet unterschiedliche Preise und Sternekategorien. Deutsche Touristen machen den überwiegenden Teil aller Gruppen von Reisenden aus. So haben 2019 über sieben Millionen deutsche Touristen Polen besucht. Infolge der COVID-19-Pandemie sank diese Zahl stark ab auf immerhin noch 3,5 Millionen in 2020. Es lebten am Ende des Jahres 2021 ca. 871.000 polnische Bürger in Deutschland, inbegriffen einen starken Anteil von Migranten, womit Polen auf dem zweiten Platz der Herkunftsländer von in Deutschland lebenden Ausländern liegt. Diese Menschen nutzen das medizinische Angebot im Heimatland aufgrund von Gewohnheit, Vertrauen oder Sprache und sie sind auch die Protagonisten der polnischen Kliniken. Die Mund-zu-Mund-Propaganda wird in Kapitel I.8 vorgestellt. Ähnlich wie bei den übrigen Bewohnern Deutschlands spielen hier Kostengründe eine wichtige Rolle. Das Angebot an kulturellen Sehenswürdigkeiten sowie die Möglichkeit, eine Behandlung mit Urlaub zu verbinden, macht Polen zu einem attraktiven Reiseziel. Auch die kulturelle Anpassung des polnischen Angebots an die Bedürfnisse deutscher Patienten ist sehr wichtig. Hierauf wird im weiteren Verlauf näher eingegangen. 

In jedem der Segmente des Medizintourismus in Polen machen deutsche Gäste den größten Anteil aus. Angebotsschwerpunkte für deutsche Patienten sind zahnärztliche und Kurbehandlungen sowie Schönheitsoperationen. Auch Behandlungen aus den Bereichen Orthopädie, Rehabilitation, Magenverkleinerungen und Augenbehandlungen spielen eine hervorhebende Rolle. 

Die von den Deutschen am meisten nachgefragten Leistungen sind Kuraufenthalte. Dem polnischen Statistikamt nach stammen über 90% die ausländischen Gäste aus Deutschland. In 2019 waren dies insgesamt 49.100 Personen. Diese Aufenthalte können sich deutsche Patienten oft von der Krankenkasse erstatten lassen. 

An zweiter Stelle des genutzten Angebots von Deutschen stehen zahnärztliche Behandlungen. Polnische zahnärztliche Kliniken garantieren eine sehr hohe Qualität zu attraktiven Preisen. Dies liegt darin begründet, dass diese Praxen seit mehreren Jahren im Rahmen des freien Marktes agieren. In mehreren Kliniken kann man auch eine detaillierte Kostensätzen auf Deutsch erhalten und einen Teil der Kosten von der Krankenkasse erstatten lassen. Die Möglichkeiten der Kostenübernahme der Leistungen durch deutsche Krankenkassen basieren auf der EU-Richtlinie 2011/24/EU, die auch als Patientenrichtlinie bekannt ist. Diese besagt, dass man sich planbar in einem anderen EU-Land behandeln lassen kann und die Krankenkassen die Kosten erstatten müssen – jedoch nur maximal bis zu dem Betrag, der für die Durchführung in Deutschland angefallen wäre (s. Kap. I.2).

Für die Behandlung einer Zahnlücke bekommt ein deutscher Patient beispielsweise einen pauschalen Zuschuss von seiner Krankenkasse. Er kann somit frei wählen, welche und wo er die Behandlungsmethode in Anspruch nehmen möchte. Entscheidet er sich für ein Implantat, so muss er in Polen weniger dazuzahlen als in Deutschland, da hier die erbrachte Leistung geringer ist.

Aufwendige Genehmigungsprozesse sowie lange Wartezeiten sind Gründe dafür, dass Deutsche Magenverkleinerungen in Polen durchführen lassen. Polen ist außerdem sehr gut aufgestellt in den Bereichen künstlicher Befruchtungen und Augenbehandlungen. Erwähnenswert sind auch polnische Krankenhäuser, für komplexe Operationen durchzuführen lassen und anschließend eine intensive Rehabilitation anknüpft. Dies ist insbesondere bei orthopädischen Operationen interessant. Das Angebot ist insbesondere für in Deutschland lebende Polen von Interesse, weil sie hiermit gleichzeitig die Möglichkeit haben, sich in ihrem Heimatland zu erholen. Schönheitsoperationen stellen ein weiteres wichtiges Marktsegment dar.

Zusammenfassend kann man drei Hauptarten des Medizintourismus von Deutschland nach Polen beobachten. Eine Gruppe bilden diejenigen Leistungen, die zwar von Krankenkassen zumindest teilweise finanziert werden, dies aber entweder nur in unzureichendem Ausmaß (Implantate) oder bei denen der Zugang reglementiert ist (Magenverkleinerungen). Die zweite Gruppe stellen Leistungen dar, die nicht finanziert werden (Schönheitsoperationen). Die dritte Gruppe betrifft in Deutschland lebende Polen, die bestimmte Prozeduren lieber in ihrem Heimatland durchführen lassen. In allen Fällen spielt der Kostenfaktoreine bedeutende Rolle. 

Ein weiteres Reiseziel, dass stark mit medizinischen Angebote für deutsche Patienten aus dem Ausland wirbt ist die Türkei. Der Gesundheitssektor in der Türkei ist in einem öffentlichen und einen privaten Bereich aufgeteilt. Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist eher unzureichend ausgestattet und unterfinanziert. Der private Sektor besitzt dagegen einen sehr guten Ruf. Laut der Verfassung der Türkischen Republik „hat jeder Mensch das Recht auf soziale Sicherheit und Gesundheitsleistungen“. Der gesetzliche Rahmen des Systems basiert auf dem Sozialversicherungs- und allgemeinen Krankenversicherungsgesetz. Die wichtigsten Anbieter des türkischen Gesundheitssystems sind das Gesundheitsministerium, Universitätskliniken und der private Sektor.

Der private Sektor in der Türkei stellt die Basis für die Versorgung der ausländischen Patienten dar. Medizintourismus ist ein wichtiger Zweig, der vom türkischen Gesundheitsministerium gefördert wird.

Laut Daten des türkischen Gesundheitsministeriums haben im Jahr 2018 etwas mehr als 550.000 Patienten eine Gesundheitsversorgung in der Türkei erhalten. Die zahlreichste Gruppe der internationalen Patienten sind Patienten aus Aserbaidschan, Irak und Deutschland.

Angeboten werden vor allem Haartransplantationen, Augenlaserbehandlungen und Zahnbehandlungen. Zu den populärsten Angeboten für Medizintouristen gehören inzwischen auch Magenverkleinerungen (die auch ohne strikt nachgewiesene medizinische Notwendigkeit durchgeführt werden können) und Schönheitsoperationen. Wichtiges Merkmal des türkischen Medizintourismus sind staatliche Zuschüsse für das Auslandsmarketing (Finkenzeller 2022).

Laut Statistischen Bundesamt wohnten am mit Jahresbeginn 2022 fast 1,5 Mio. türkische Bürger in Deutschland (Statistisches Bundesamt 2022). Sie bilden hiermit die zahlreichste Einwanderergruppe in Deutschland. Die kulturelle Nähe spielt auch für diese Patientengruppe eine Rolle (s. Kap. I.7). Die in Deutschland lebende Bürger mit türkischer Abstammung reisen gern ins Heimatland für Behandlungen, die teils aus eigenem Budget bezahlt werden müssen.

Zu einer weiteren medizintouristischen Destination für deutsche Bürger gehört Ungarn. Dort wird das Angebot an Zahnbehandlungen vermarktet. Serviceorientierte Einrichtungen mit komfortabler Ausstattung sowie die Möglichkeit der Kostenübernahme von den deutschen Krankenkassen sprechen für wichtige Wettbewerbsvorteile für Ungarn. 

Es ist nicht eindeutig abzusehen, ob zukünftig weitere medizinische Fachbereiche stärker nachgefragt werden. Ein Grund, der dafürsprechen könnte, sind die steigenden Kosten aufgrund neuer Behandlungsmöglichkeiten und damit verbundenen Herausforderungen des europäischen Gesundheitssystems.


Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Praxisbuch Medizintourismus - Grundlagen, Potenziale, Umsetzung" herausgegeben von Mariam Asefi. Alle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.


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