3 Fragen an...
Dr. phil. Katharina Woellert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin und Vorstandsbeauftragte für Klinische Ethik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
1. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben die Relevanz der Klinische Ethik stark verdeutlicht. Wo ist der größte Handlungsbedarf aufgetreten?
Gesamtgesellschaftlich sind wir durch die Pandemie mit vielen ethischen Herausforderungen konfrontiert. Das wird selbstverständlich auch in der Klinischen Ethik spürbar. Hier sind die Besuchsverbote eines der vordringlichsten Themen. Es gehört zu unseren ethischen Standards, Angehörige eng in die Behandlung mit einzubeziehen – so, wie unsere Patientinnen und Patienten dies wünschen. Nun haben wir die Situation, dass Ehepartner, Eltern oder Kinder ihre Nächsten teilweise über lange Zeit nicht oder nur sehr eingeschränkt besuchen dürfen und Schwerstkranke mitunter einsam sterben. Der Infektionsschutz gerät hier in Konflikt mit ganz wesentlichen individuellen Bedürfnissen. Dies ist ein moralisches Dilemma, dass die Klinische Ethik nicht auflösen kann. Aber sie kann auf diesen Umstand immer wieder hinweisen und nach Alternativen suchen. Zum Beispiel kann sie dazu beitragen, dass ein Krankenhaus verantwortungsvolle Regelungen zu den Besuchsbeschränkungen findet und diese immer wieder auf den Prüfstand stellt. Und im Einzelfall kann beispielsweise im Rahmen einer Ethik-Fallberatung darauf hingewirkt werden, dass auch über die erzwungene Ferne ein möglichst enger Austausch mit den Angehörigen geführt wird.
2. Was bedeutet ethisch korrektes Handeln im Klinikalltag? Und wer legt fest, was ethisch korrekt ist?
Grundsätzlich gilt, dass unsere Gesundheitsversorgung auf fundamentalen moralischen Werten basiert. Dazu zählen beispielsweise die Achtung des Willens, die Förderung des Wohls und die Wahrung der Würde von Patientinnen und Patienten. Ethisch korrektes Handeln im Klinikalltag bedeutet, dass alle Abläufe und Entscheidungen auf die Einhaltung dieser Werte ausgerichtet sind. Damit ist aber noch nicht gesagt, welche Konsequenzen sich daraus in Bezug auf die Behandlung einer bestimmten Person ergeben. Hier beginnt das Arbeitsfeld der Klinischen Ethik. Oftmals bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie eine Behandlungsentscheidung ethisch zu beurteilen ist. Ob zum Beispiel eine Therapie angesichts eines im Vorfeld schwer zu bestimmenden Nutzens und der damit verbundenen Risiken in der Gesamtschau dazu geeignet ist, das Wohl des Betroffenen zu fördern. Klinische Ethik tritt hier als vermittelnde Instanz auf. Sie legt niemals abschließend fest, welche Entscheidung im Einzelfall ethisch korrekt ist. Aber sie unterstützt dabei, dass alle Beteiligten gemeinsam zu einer bestenfalls einvernehmlichen Einschätzung darüber gelangen. Das gelingt zum Beispiel über Beratung oder Schulungen.
3. Welchen Stellenwert nehmen Patientenwünsche und die persönliche Vorsorge z.B. in Form einer Patientenverfügung in der Klinischen Ethik ein?
Einen zentralen. Die konsequente Orientierung am Patientenwillen ist nach unserem Verständnis eine grundlegende ethische Anforderung. Im Krankenhaus begegnen uns aber oftmals Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind für sich zu sprechen. In einer solchen Situation gilt es, den mutmaßlichen Willen des Betroffenen herauszufinden. Liegt eine Patientenverfügung vor, so stellt sich die Frage, ob in dieser auch die tatsächlich eingetretene Situation beschrieben ist. Ohne ein solches Dokument, müssen die entsprechenden Informationen in Gesprächen mit Angehörigen, Freunden oder dem Hausarzt gewonnen werden. Auch daraus ergibt sich nicht immer ein einheitliches Bild. Um in solchen Situationen Klarheit zu erlangen, benötigen alle Beteiligten viel Wissen und Fingerspitzengefühl. Klinische Ethik hat die Aufgabe dabei zu unterstützen, beispielsweise durch die Entwicklung von Leitlinien oder Informationsmaterialien. Auch eine Ethik-Fallberatung kann hier helfen. Diese kann übrigens von allen in Anspruch genommen werden, auch von Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen. In einem solchen Gespräch erhalten beispielsweise diejenigen, die für ihre Nächsten gesundheitliche Entscheidungen treffen müssen, die Chance ihre Zweifel anzusprechen. Sie können ihre Wahrnehmung auf den Prüfstand stellen und größere Sicherheit darüber erlangen, dass ihre Entscheidung ethisch fundiert ausfällt. Nicht zuletzt kann durch eine Ethik-Fallberatung in Konflikten über den mutmaßlichen Patientenwillen vermittelt werden.
In dem Werk Praxisfeld Klinische Ethik von Katharina Woellert, Burkhard Göke, Joachim Prölß und Philipp Osten (Hrsg.) werden Theorien und Konzepte Klinischer Ethik allgemeinverständlich vorgestellt und deren praktische Umsetzung am Beispiel des Universitäsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) verdeutlicht.