3 Fragen an...
Patrick Merke ist Gründer und Leiter der frankfurter akademie für neue arbeitskultur und neue führung. Die frankfurter akademie unterstützt Unternehmen und Organisationen bei der Gestaltung und Entwicklung in den Themenbereichen: Neue Arbeit (New Work), Neue Führung (New Leadership) sowie Neue Organisation (New Organisation)
1. Was wünschen Sie sich, wenn Sie an New Work im Gesundheitswesen denken?
Ich wünsche mir zutiefst, dass New Work viel mehr und viel schneller Einzug in das Gesundheitswesen erhält. New Work ist ein sinnvoller und vor allem praxiserprobter Ansatz, um die Arbeit und die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen definitiv und nachhaltig zu verbessern. Ich bin einerseits begeistert und voller Respekt für alle, die im Gesundheitswesen auf sehr hohem fachlichen Niveau arbeiten und jeden Tag aufs Neue teilweise auch an ihre persönlichen Grenzen und darüber hinaus gehen, für den Dienst an Patienten und Patientinnen. Chapeau! Ich bin andererseits auch teilweise erschrocken, wie im Gesundheitswesen nicht wirklich zusammengearbeitet wird und dadurch paradoxerweise die Patientenzufriedenheit und Patientensicherheit wiederum gefährdet wird. Hinzu kommt ein paralysiertes Mindset, dass sich im Krankenhaus bzw. im Gesundheitswesen nichts oder nur kaum etwas ändern lässt. New Work ist nicht DIE Lösung, aber EINE Lösung, um die Organisationen im Gesundheitswesen wieder lebens- und arbeitswerter zu machen. Und ich bin zuversichtlich, dass New Work Erfolg haben wird, da es in jeder Organisation im Gesundheitswesen genug Menschen gibt, die etwas verändern wollen und können.
2. Welchen Tipp geben Sie für die Umsetzung von New Work?
Der wichtigste Tipp ist, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis von New Work haben. Alle sollten wissen, worüber sie reden. Für dieses Verständnis sind zwei Aspekte elementar.
Erstens: New Work hat zunächst einmal nichts mit Patienten direkt zu tun. Das klingt jetzt hart, aber so ist es. Bei New Work geht es um die Arbeit und Zusammenarbeit der Personen in den Gesundheitsberufen. Diese stehen im Fokus. Das primäre Ziel von New Work sind zufriedene Mitarbeitende. Und mit den zufriedenen Mitarbeitenden funktioniert auch die Patientenversorgung (noch) besser und es folgen zufriedene Patienten. Unzufriedene Mitarbeitende sind ein sehr schlechtes Fundament für Patientenzufriedenheit und Patientensicherheit. Ein Grundproblem des Gesundheitswesens ist seine fokale Schieflage: das Gesundheitswesen ist sehr auf den Patienten ausgerichtet – was vollkommen richtig ist! Gleichzeitig vernachlässigt es jedoch die Bedürfnisse seiner Akteure – was vollkommen falsch ist! Betriebswirtschaftlich ausgedrückt: Aus der Wertschätzung für die Beschäftigten kommt die Wertschöpfung für den Patienten.
Zweitens: Im Kern von New Work steht die persönliche Selbstbestimmung der Mitarbeitenden sowie die kollektive Selbstbestimmung der Teams. Selbstbestimmung bedeutet die Unabhängigkeit des Menschen von Fremdbestimmung und die Möglichkeit zum eigenständigen Handeln. Je mehr die Beschäftigten ihre Arbeit selbst bestimmen können – wie z.B. Arbeitsinhalte, Arbeitsumfang, Arbeitszeit, Arbeitsdauer, Arbeitsort und Arbeitspartner – desto mehr entspricht diese Arbeit der Idee des New Work. Homeoffice, eine kostenfreie Obstschale, bunte Möbel oder auch digitale Lösungen sind per se kein New Work. Wenn diese Maßnahmen jedoch die Selbstbestimmung der Mitarbeitenden und Teams unterstützen und ermöglichen, dann können wir auch von New Work sprechen! Und wenn klar ist, was der Fokus von New Work ist, dann wird auch klar, wo die primären mentalen und arbeitsorganisatorischen Handlungsfelder liegen.
3. Und wo liegen diese primären Handlungsfelder bei der Umsetzung von New Work?
Die mentalen Handlungsfelder sind das eben beschriebene gemeinsame Verständnis von New Work sowie die Erkenntnis und Akzeptanz, dass New Work nicht nur eine andere Form der Organisation der Arbeit und Zusammenarbeit, sondern auch eine andere Form der Führung(skultur) bedeutet. Mehr Selbstbestimmung für Mitarbeitende und Teams bedeutet u.a. weniger Fremdbestimmung durch Führungskräfte. So wird z.B. Entscheidungsmacht (dauerhaft) an die Mitarbeitenden und in die Teams gegeben und diese dadurch im wahrsten Sinne des Wortes empowert. Starre Führungs-Hierarchien wandeln sich in flexible Verantwortungs-Heterarchien. Dieser Mindset-Wandel im Verständnis von Führung ist ein elementarer Teil von New Work.
Die arbeitsorganisatorischen Handlungsfelder liegen überall in der Organisation: Ob Meeting-Kultur, Entscheidungs-Kultur, Feedback-Kultur, Fehler-Kultur oder Lern-Kultur. Überall dort, wo „Schmerzen“ bzw. Spannungen in der unmittelbaren Zusammenarbeit identifiziert werden können, kann New Work in kleinen Schritten und niederschwellig umgesetzt werden. Dort, wo sich Abläufe durch geringe Effizienz und/oder Effektivität auszeichnen, startet man. Und mit der Optimierung kommt dann New Work durch die Hintertür. Nehmen wir z.B. die Meeting-Kultur: In effizienten und effektiven Meetings sind die Teilnehmenden gleichberechtigt(er), da alle gehört werden und alle zu Wort kommen können. Es gibt keine Dominanz einzelner Personen, sondern durch eine partizipative Moderation wird „Augenhöhe“ Wirklichkeit. Und Augenhöhe ist ein wesentliches Merkmal von New Work. Und dieser „Hintertür-Effekt von New Work“ entsteht auch in den anderen Kultur-Bereichen, wenn diese ebenfalls partizipativ(er) gestaltet werden.
New Work in Healthcare (Hrsg.: Patrick Merke) beschreibt Grundlagen, Prinzipien und Handlungsfelder von New Work für Organisationen und Unternehmen des Gesundheitswesens und enthält praxisnahe Handlungsempfehlungen von Expertinnen und Experten.