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3 Fragen an...

Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinische Hochschule Hannover. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Tourette-Syndrom; seit 1998 ist sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der „Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V.“ (TGD). Zudem engagiert sich Müller-Vahl im Bereich "Cannabis als Medizin" auf nationaler und internationaler Ebene und ist Vorstandsmitglied der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ (ACM) sowie Vorsitzende der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM).

1. Wie hat sich die medizinische Nutzung von Cannabis und Cannabinoiden seit dem„Cannabis als Medizin“-Gesetz im Jahr 2017 entwickelt? Wie bewerten Sie das Gesetz nach zwei Jahren Test auf Praxistauglichkeit?

Das „Cannabis-als-Medizin-Gesetz“ hat uns hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten mit Cannabinoiden einen großen Schritt nach vorne gebracht und die Verschreibung von Medizinalcannabisblüten und daraus hergestellten Extrakten ermöglicht. Die Tatsache, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten der Behandlung von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden, ist einzigartig in Europa, stellt geleichzeitig aber auch einen Systembruch dar – da Kosten einer nichtzugelassenen Therapie von der GKV übernommen werden. Mit dem Gesetz wurde durchaus eine Versorgungslücke geschlossen, da PatientInnen, die von einer Behandlung mit Cannabis-basierten Medikamenten profitieren, schon heute eine solche Behandlung erhalten können und nicht Jahre warten müssen, bis aussagekräftige Studien vorliegen.

Die Tatsache, dass die Verschreibungszahlen für Cannabis-basierte Medikamente seit Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes bis heute kontinuierlich angestiegen sind, verdeutlicht, dass Cannabinoide mittlerweile ihren festen Platz in der ärztlichen Therapie schwerkranker PatientInnen gefunden haben. Nun müssen wir in den Indikationen, in denen aufgrund der vorliegenden Daten eine Wirksamkeit anzunehmen ist, möglichst schnell große kontrollierte Studien durchführen, um fundierte Aussagen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit treffen zu können.

2. Trifft die Verschreibung von Cannabis und Cannabinoiden in der Praxis noch immer auf Vorbehalte? Wenn ja, wie kann mit diesen umgegangen werden?

Nach wie vor lehnen viele Kolleginnen und Kollegen eine Verschreibung von Cannabinoiden aus unterschiedlichen Gründen ab. So fühlen sich viele nicht ausreichend darüber informiert, wie überhaupt eine Verschreibung vorzunehmen ist. Andere fürchten den bürokratischen Aufwand durch die Beantragung der Kostenübernahme bei der Krankenkasse und die Teilnahme an der Begleiterhebung. Schließlich lehnen manche Ärztinnen und Ärzte eine off-label oder no-label-Behandlung ab und verweisen auf die schlechte Datenlage für die Mehrzahl der diskutierten Indikationen oder haben Sorge vor Nebenwirkungen und Abhängigkeit oder dass die Verschreibung für einen Freizeitkonsum missbraucht werden könne.

Mittlerweile werden zahlreiche, zum Teil auch CME-zertifizierte Weiterbildungen und Webinare zum Thema „Cannabis als Medizin“ angeboten. In der klinischen Praxis hat sich gezeigt, dass „der erste Patient“ der schwierigste und zeitaufwändigste ist, sich dann aber rasch eine Routine einstellt und der mit der Behandlung verbundene Aufwand gering ist. Sofern die Risiken, Kontraindikationen und Dosierungsempfehlungen beachtet werden, gelten Cannabis-basierte Medikamente als sehr sicher und allgemein gut verträglich. Im Rahmen einer ärztlich überwachten Therapie stellt das Eintreten einer Abhängigkeit kaum je ein Problem dar. Insofern stellen Cannabis-basierte eine Erweiterung des Behandlungsspektrums dar und sollten für Patienten dann in Betracht gezogen werden, wenn die im Sozialgesetzbuch V genannten Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die GKV erfüllt sind: (i) Bestehen einer schweren Erkrankung, (ii) Fehlen einer Behandlungsalternative und (iii) Vorliegen einer nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Erfolg.

3. Inwiefern unterscheiden sich die gewünschte Wirkung und Einnahmeform von Cannabis und Cannabinoiden bei medizinischem Gebrauch und Freizeitkonsum?

Grundsätzlich können auch mit ärztlich verordneten Cannabis-basierten Medikamenten Rauscheffekte erzielt werden, wie sie von Freizeitkonsumenten meist gezielt herbeigeführt werden. Allerdings werden derartige psychische Wirkungen von PatientInnen praktisch ausnahmslos als unerwünschte (Neben-)Wirkungen wahrgenommen und die Behandlung ansonsten entsprechend angepasst oder sogar wieder abgebrochen. Im Gegensatz zu Freizeitkonsumenten wünschen PatientInnen eine Linderung ihrer Krankheitssymptome – und dies idealerweise ohne Nebenwirkungen und Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Um dies zu erreichen, wird die Behandlung niedrig dosiert begonnen und nur langsam gesteigert. Dadurch tritt in aller Regel eine Toleranzentwicklung gegenüber unerwünschten physischen und psychischen Effekten ein wie Schwindel, Benommenheit und Müdigkeit. Auch die Einnahmeart unterscheidet sich oft: so bevorzugen viele PatientInnen eine orale Einnahme, die wegen des viel langsameren Anflutens der Cannabinoide im Blut nur selten zu Rauschzuständen führt.

Im November 2019 erschien das Werk Cannabis und Cannabinoide in der Medizin (Hrsg. Kirsten R. Müller-Vahl | Franjo Grotenhermen) bei der MWV. Das Werk stellt die erste umfassende Monografie zum Thema „Cannabis als Medizin“ in deutscher Sprache überhaupt dar und schließt damit eine Lücke.


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