Interview mit Dr. Jens Baas
Kein Unternehmen ist vor den Auswirkungen der Pandemie verschont geblieben – vollständige Schließungen, Einschränkung durch Hygiene-Konzepte und Homeoffice stehen seit über einem Jahr an der Tagesordnung. Anpassungen folgten: Arbeitsstrukturen wurden verändert und die Digitalisierung beschleunigt.
Diese Veränderungen bringen ein enormes Potenzial für Innovationen und Fortschritt mit sich. Deshalb möchten wir nun den Blick auf Akteur:innen und Unternehmer:innen aus dem Gesundheitswesen werfen und erfahren, wie sie die Pandemie in ihren Organisationen und Unternehmen gemeistert haben und auf das Jahr zurückblicken.
Dr. Jens Baas ist seit 2012 Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK). Sein Studium der Humanmedizin absolvierte Baas an der Universität Heidelberg und der University of Minnesota (USA) und arbeitete anschließend als Arzt in den chirurgischen Universitätskliniken Heidelberg und Münster.
Wie haben Sie als Unternehmer:in/Führungskraft den Beginn der Corona-Krise und des Shutdowns in Ihrem Verantwortungsbereich im März 2020 erlebt?
Die besondere Herausforderung für mich bestand darin, unsere 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich zu schützen, gleichzeitig unsere Rolle für die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitswesens zu erfüllen und für unsere über 10 Millionen Versicherten da zu sein. Dafür hatten wir die Situation schon frühzeitig eng beobachtet, haben sie ernstgenommen und waren sehr vorsichtig. So haben wir etwa einige der Regierungsentscheidungen im Unternehmen vorweggenommen und zum Beispiel Reiserückkehrer aus bestimmten Gebieten freigestellt, bevor diese offiziell zu Risikogebieten ernannt wurden. Auch Hygiene-Regeln und Home Office haben wir deutlich eher eingeführt, als das offiziell zu dem frühen Zeitpunkt gefordert war. Gleichzeitig waren wir natürlich von Anfang an im Austausch mit dem Bund und den Ländern, um hier beim Krisenmanagement zu unterstützen.
Wie hat die Corona-Krise Ihre internen Abläufe und/oder Ihre Organisation verändert?
Krankenkassen sind Teil der kritischen Infrastruktur, wir hatten daher bereits Pläne für mögliche Katastrophen-Szenarien erstellt und waren vorbereitet. Wichtig war zum einen, jederzeit die Zahlungsströme aufrecht zu erhalten, damit die Abläufe im Gesundheitswesen reibungslos funktionieren und Arztpraxen sowie Krankenhäuser arbeiten können. Zudem mussten Geldleistungen, wie zum Beispiel Krankengeld, zuverlässig fließen. Zum anderen mussten wir den Service gegenüber unseren Versicherten aufrechterhalten, die uns ja gerade in einer Gesundheitskrise besonders gebraucht haben. Unsere Krisenpläne haben hier gut funktioniert. Eine grundlegende Veränderung gab es im Unternehmen, als wir so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie möglich ins Homeoffice geschickt haben. Das war aufgrund der im Vergleich zu anderen Unternehmen viel höheren Anforderung an den Datenschutz und der geringen Verfügbarkeit von Hardware auch für unsere IT eine Herausforderung. Wir hatten hier früh entschieden, dass der Umgang mit Sozialdaten keine „quick and dirty“ Lösung erlauben würde, auch wenn der Druck dazu am Anfang sehr hoch war.
Wie hat die Corona-Krise Ihre Produkte bzw. Dienstleistungen verändert?
Mir war es von Anfang an wichtig, dass die TK gerade in einer Pandemie weiterhin in der gewohnten Servicequalität für die Versicherten da ist, telefonisch, digital und auch, indem wir unsere Kundenberatungen nicht einfach geschlossen haben. Dabei hat uns geholfen, dass wir bereits vor der Pandemie sehr digital aufgestellt waren, denn viele Anliegen wurden in dieser Zeit von unseren Kundinnen und Kunden über die digitalen Kanäle geregelt. Das zeigt uns, dass wir in Sachen Digitalisierung auf dem richtigen Weg sind. Wir haben auch erlebt, dass noch deutlich mehr Versicherte als ohnehin schon Rat, Information und Einordnung von Themen bei uns gesucht haben. Unsere Rolle als vertrauenswürdiger Ansprechpartner und Informationsanbieter wurde also noch einmal deutlich wichtiger.
Von wem und in welchem Kreis in Ihrem Unternehmen/Verantwortungsbereich wurden die wesentlichen Maßnahmen/Weichenstellungen für die Veränderungen eingeleitet?
Zunächst einmal haben wir das Unternehmen enger geführt, als das in normalen Zeiten der Fall ist. In eng getakteten Videokonferenzen musste jeder Geschäftsbereich darlegen, wie sich die Situation in seinem Verantwortungsbereich gerade darstellte. Das sorgte für maximale Transparenz zwischen allen Bereichen und ermöglichte es erst, auf Probleme zeitnah und bereichsübergreifend zu reagieren. Die Maßnahmen dafür wurden von einem speziellen Krisenstab entwickelt, dem Vorstand vorgestellt und dann dort entschieden. Diese zeitnahe Transparenz, der bereichsübergreifend besetze Krisenstab und die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung waren wesentliche Erfolgsfaktoren der Krisenbewältigung. Gleichzeitig haben wir großen Wert auf eine jederzeit offene Kommunikation der Situation und maximale Transparenz gegenüber den Mitarbeitenden gelegt.
Welche der getroffenen oder eingeleiteten Maßnahmen (Organisation, Prozesse, Produkte, Dienstleistungen) werden in Ihrem Unternehmen/Verantwortungsbereich auf jeden Fall auf Dauer beibehalten bleiben?
Für die Kunden werden wir weiter an guten digitalen Lösungen arbeiten und die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben, damit sie ihre Anliegen mit uns so effizient und bequem wir möglich klären können.
Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden wir in Zukunft, unabhängig von Corona, wo immer möglich die Option anbieten, im Home Office zu arbeiten. Wir hatten vor Corona bereits Pilotprojekte zum Arbeiten im Home Office erfolgreich durchgeführt und die technische Infrastruktur seitdem nochmals stark ausgebaut.
In einem Satz: Was bedeutet für Sie "die neue Normalität"?
Die neue Normalität bedeutet, dass wir auch im Gesundheitsbereich die digitalen Möglichkeiten zur Vernetzung, zur Datennutzung und zur Vereinfachung von Prozessen ausschöpfen und somit die Digitalisierung nicht länger mit vorgeschobenen Argumenten ausbremsen, sondern nach unseren Vorstellungen weiterentwickeln.