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3 Fragen an ...

Univ.-Prof. Dr. med. Benno Brinkhaus ist Facharzt für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren und Akupunktur. Er leitet die Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Standort Mitte der Charité - Universitätsmedizin Berlin.

Prof. Dr. med. Tobias Esch ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Seit 2016 ist Prof. Esch Lehrstuhlinhaber und Institutsleiter für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke

1. In Nordamerika ist sie schon lange etabliert, doch in Europa beginnt die Integrative Medizin erst nach und nach an Stellenwert zu gewinnen. Woran liegt der dieser Vorsprung und welches Potenzial hat die Integrative Medizin in Deutschland?

Viele der naturheilkundlichen und komplementärmedizinischen Therapieverfahren, mit denen in der Integrativen Medizin (IM) gearbeitet wird, haben in Europa ihren Ursprung bzw. sind sogar in Deutschland entstanden oder maßgeblich weiterentwickelt worden, gute Beispiele sind die Phytotherapie oder die Neuraltherapie. Andere Anteile, wie etwa Akupunktur oder medizinische Anwendungen von Meditation und Achtsamkeit, wurden hingegen beispielsweise aus Asien übernommen.

Aus unserer Sicht waren es mehrere Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass die IM in Nordamerika, besonders in den USA, bereits seit längerem einen hohen Stellenwert hat: In den USA wurde etwa durch Prof. David Eisenberg in Harvard bereits Anfang der 1990er Jahre durch eine NEJM-Publikation bekannt, dass Komplementärmedizin von einem großen Teil der Bevölkerung in Anspruch genommen wurde. Eisenberg hatte sein Büro neben Prof. Herbert Benson, dem Begründer der Mind-Body-Medizin. Da kamen einige Dinge zusammen. Als forschungspolitische Konsequenz wurde zum einen das National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM) gegründet, das heutige National Center for Complementary and Integrative Medicine (NCCIM) – dem amerikanischen Gesundheitsministerium (NIH) zugeordnet. Zum anderen wurden wissenschaftliche Arbeiten und die Entwicklung im Bereich der IM seit diesem Zeitpunkt bis heute mit mehr als 100 Millionen Dollar jährlich (!) intensiv gefördert. Parallel wurden in den USA universitäre Strukturen zur Förderung und Forschung der IM aufgebaut, auch an namhaften Universitäten wie der Harvard Medical School und Stanford University, die sowohl qualitativ hochwertige Forschung initiierten und zum anderen die IM im Bereich der medizinischen Ausbildung förderten. Hinzu kam die Aktivität von weiteren herausragenden Persönlichkeiten und Wissenschaftlern, neben Eisenberg und Benson, wie beispielsweise Prof. Dean Ornish und Prof. Andrew Weil, die bereits in den 1970er Jahren damit begonnen haben, Verfahren der Komplementärmedizin oder der Mind-Body-Medizin eingehend wissenschaftlich zu untersuchen und nach positiver Evaluierung in die konventionelle Medizin im Sinne der IM zu integrieren. 

Abschließend wurde diese in die Zukunft gerichtete Entwicklung im Bereich der Akademisierung der IM von einem regen Interesse der Patienten beflügelt, die eine große Offenheit und Affinität der Komplementärmedizin und IM bzw. Mind-Body-Medizin entgegenbrachten. Es ist uns daher eine besondere Freude, dass wir in unserem Buch herausragende Wissenschaftler auch aus den USA zu Wort kommen lassen, die diese Entwicklung der IM in den USA in den Bereichen Forschung, Lehre und Patientenversorgung maßgeblich eingeleitet und fortgeführt haben. Dieses ist aus unserer Sicht auch ein großer Gewinn für die Leser.

2. Die Anwendungsmöglichkeiten Integrativer Medizin sind vielfältig. Gibt es Fachrichtungen oder konkrete Beispiele, bei denen die Nutzung von evidenzbasierten Naturheilverfahren und Komplementärmedizin in Verbindung mit konventionellen Behandlungsmethoden besonders große Vorteile bergen?

Auf diese Frage gehen wir insbesondere im dritten Teil unseres Buches „Integrative Medizin und Gesundheit“ ausführlich ein, indem wir dort die medizinischen Bereiche darstellen, in denen die IM erfolgreich zur Anwendung kommt, u.a. in den Bereichen Kardiologie, Pädiatrie und Geriatrie, Psychiatrie, Kinderheilkunde, Gastroenterologie. 

Zwei Bereiche wollen wir an dieser Stelle beispielhaft hervorheben: Gerade im Bereich der Integrativen Schmerztherapie und der Integrativen Onkologie sind die Entwicklungen rasant. Bei den Schmerzerkrankungen ist ein multimodaler Ansatz unter Einbeziehung von komplementärmedizinischen Therapieverfahren einschließlich z.B. der Akupunktur, der Hypnotherapie und von Mind-Body-Medizin Verfahren in guten und fortschrittlichen Schmerzambulanzen und -kliniken inzwischen Standard. Auch die Integrative Onkologie ist inzwischen in vielen onkologischen Zentren etabliert und wird von Patienten vehement eingefordert, denn neben etablierten konventionellen Therapieverfahren wird den ressourcenaktivierenden Verfahren ein zunehmend hoher Stellenwert beigemessen. Insgesamt rückt der aktive Patient, der selbst etwas gegen seine Krankheit unternimmt und seine Ressourcen stärkt, seine Gesundheit stärkt, immer mehr in den Fokus der modernen Medizin. Die genannten Bereiche bilden den Kern der IM.

3. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Integrativen Medizin?

Hauptanliegen ist uns, dass wir eine empathische, zukunftsfähige, ressourcenschonende Medizin der Zukunft beschreiben und entwickeln wollen, bei der der Mensch bzw. Patient, aktiv im Gesundheitsprozess einbezogen, im Mittelpunkt steht. Menschen sollten im Sinne der Gesundheitsförderung so lange wie möglich gesund bleiben, und wenn es doch zu einer Krankheit kommt, sollten Präventionsmaßnahmen möglichst schnell greifen. Außerdem bleibt die Selbstregulation – der innere Arzt und die Gesundheitspotenziale – auch im Falle einer Krankheit aktiv! Krankheit ist nicht als Niederlage des inneren Arztes anzusehen, und so lange wir leben, ist es wichtig, die Regulationsfähigkeit zu erhalten und mit in die Prävention und Behandlung einzubeziehen. Nicht als Alternative zur konventionellen Medizin oder Therapie, sondern als Unterstützung. 

Wir wünschen uns, dass Therapieverfahren der Naturheilkunde und Komplementärmedizin, die die Wirksamkeit und Sicherheit unter Beweis stellen konnten, stärker als bisher in die moderne Medizin integriert werden. Wir wissen, dass hier auch noch viel Forschung notwendig ist, um unseren Entwurf für „die Medizin der Zukunft“ zu realisieren. Daher wünschen wir uns eine Forschungspolitik, die die Bedeutung der IM erkennt und die Ansätze aktiv und deutlich stärker als bisher mit Forschungsmitteln unterstützt. Gerne verweisen wir an dieser Stelle nochmals auf die Situation in den USA vor über 30 Jahren, wo das Potential der IM bereits erkannt und gestärkt wurde. Solch einen positiven Blick auf die Gesundheit wünschen wir uns auch in unserem Land und in der EU: für die optimale Gesundheit unserer (Mit-)Menschen und Patienten.

Das aktuelle Standardwerk Integrative Medizin und Gesundheit von Prof. Brinkhaus und Prof. Esch (Hrsg.) bündelt alle Aspekte der Integrativen Medizin: medizinisches Fachwissen, Versorgungsstrukturen, Theoriebildung, Menschenbild und wissenschaftliche Grundlagen einer empathischen, kommunikativen und hoch effektiven Medizin im digitalen Zeitalter.


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