1. Welche Aufgaben sollte die neue Bundesregierung – abgesehen von der Pandemiebekämpfung –aus Ihrer Sicht unverzüglich anpacken?
In der Gesundheitspolitik geht es um die Neuordnung der Versorgungslandschaft einschließlich der Innovationsoptionen, die eine sinnvolle Digitalisierung bietet und ganz wesentlich darum, die zukünftige Versorgung durch eine ausreichend vorhandene Anzahl an Fachkräften zu sichern. Das wird schwer genug, aber es hilft nichts, da muss die neue Regierung beherzt und nachhaltig ran!
Jenseits der Gesundheitspolitik halte ich es derzeit für eine der vordringlichsten Aufgaben der neuen Bundesregierung, sich um die Bekämpfung des Klimawandels verdient zu machen. Die Auswirkungen sind langfristig und werden, wenn wir jetzt nicht entschieden dagegen angehen, nachhaltig unser Leben verändern. Damit verbunden ist eine gute Verkehrspolitik, die nachhaltige Mobilitätskonzepte ermöglicht. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Bildungspolitik. Der Fachkräftemangel betrifft ja letztendlich alle Branchen. Hier sind gute und intelligente Konzepte gefragt, die dazu führen, das wir auch in Zukunft in der Lage sind, eine ausreichende Anzahl an Menschen in den Bereichen, wo Bedarf besteht, zu qualifizieren bzw. in unser Land zu holen. Dazu gehört auch eine entsprechende Kultur im Land, die den interkulturellen Austausch pflegt und für Offenheit, Innovation und Austausch steht. Das ist gerade in diesen besonderen Zeiten ein sehr wichtiges Gut, für das es sich einzusetzen lohnt.
2. Welche Aufgaben in Bezug auf die Gesundheitspolitik sind aus Ihrer Sicht die wesentlichsten und dringlichsten, und damit für das Regierungshandeln der nächsten Legislaturperiode zwingend?
Dringend anstehende Aufgaben, die angegangen werden müssen, sind aus meiner Sicht 1.) die Investitionskostenfinanzierung für die Krankenhäuser 2.) Lösungsansätze gegen den Fachkräftemangel zu finden und 3.) das aktuelle Vergütungssystem sektorübergreifend neu anzugehen.
Zu 1.) Ein Dauerbrenner, der immer noch nicht gelöst ist: Seit geraumer Zeit sind die Kliniken gezwungen, Ihre Mittel für Investitionen teilweise aus den Erlösen zu finanzieren, die eigentlich für die Deckung der Betriebskosten vorgesehen sind. Der Investitionsbedarf wird weiter deutlich durch die zunehmenden Anforderungen aus der dringend erforderlichen Digitalisierung steigen. Ich gehe davon aus, dass die Mittel, die über das KHZG kommen, hierfür nicht ausreichen werden. Also müssen Mittel und Wege gefunden werden, die Kliniken, die man wirklich benötigt, langfristig und solide auch in Richtung der notwendigen Investitionen auszustatten. Diesbezüglich muss man sich völlig unpolitisch darüber Gedanken machen, welche Kliniken mit welcher Ausstattung tatsächlich erforderlich sind. Hierzu können Sicherstellungszuschläge sowohl für bedarfsnotwendige Häuser in strukturschwachen Regionen als auch für Hochleistungszentren in Ballungsgebieten gehören, die kostenintensive Infrastruktur für Hochleistungsmedizin vorhalten.
Bei uns in NRW werden hier gerade über Minister Laumann neue Wege gegangen, die sehr zu begrüßen sind. Man löst sich von der traditionellen Bettenplanung und verteilt die Mittel für die Krankenhäuser und damit die Kapazitäten zukünftig über eine Leistungs- und Strukturplanung mit klaren regionalen Vorgaben. Das ist gut und mutig und wird möglicherweise richtungsweisend für die Bundesrepublik.
2.) Der zunehmende Fachkräftemangel ist aktuell sicher das beherrschende Thema im Gesundheitswesen. Man braucht nicht wirklich über ein Leistungswachstum nachdenken, wenn man gar nicht mehr das Personal hat, um die aufgestellten Betten zu betreiben. Hierzu bedarf es mannigfacher Initiativen in Richtung Weiterentwicklung der Berufsfelder, um diese auch mit Akademisierung und neuer interprofessioneller Aufgabenverteilung und Verantwortungsübernahme noch attraktiver und zukunftsfähiger zu machen. Aber auch die Bezahlung spielt sicher eine wesentliche Rolle. Wir brauchen deshalb u.a. eine auskömmliche Finanzierung einer angemessen bezahlten Pflege. Auch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei den IT-Expert*innen, können wir gegenüber der Industrie nicht mehr mithalten. Wertschätzung ist gut und wichtig. Aber die Bezahlung ist ein wichtiger Hygienefaktor, den wir erfüllen müssen, wenn wir noch ausreichend Menschen für die Berufe, die derzeit nicht adäquat besetzt werden können, gewinnen wollen.
3.) Reform des Vergütungssystems: Derzeit werden mit dem fallzahlgetriggerten DRG-System immer noch die falschen Anreize gesetzt. Das System löst sich ja bereits durch zunehmende Sonderregelungen, wie z.B. der Herausnahme der Pflegefinanzierung in seine Bestandteile auf und bedarf dringend einer Modernisierung. Die bislang erzielten Effekte in Richtung Prozess- und Ressourcenoptimierung sind ausgeschöpft. Es geht nun darum, die Kliniklandschaft neu zu ordnen und festzulegen, wen man wo braucht und wen nicht mehr. Und es müssen die ökonomischen Fehlanreize entschieden beseitigt werden, die dafür sorgen, dass sich manche Klinken mit bedenkenswerter Qualität durch die reine Fallzahlakquise am Leben halten müssen, obwohl dies realistischerweise mangels vorhandener Fachkräfte und damit mangels vorhandener Expertise kaum möglich ist. Manche Kliniken werden deshalb langfristig vom Netz gehen müssen beziehungsweise in intersektorale Gesundheitszentren transformiert werden. Sofern sie jedoch versorgungsrelevant sind, müssen sie fallzahlunabhängig über entsprechende Zuschläge bei adäquatem Qualitätsmonitoring auskömmlich ihre Leistung erbringen können und zwar in den Leistungsbereichen, wo sie tatsächlich gebraucht werden.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist hierbei auch der zweite Dauerbrenner: die intersektorale Versorgung. Hier macht es Sinn, in Zukunft intersektoral in Versorgungsregionen neu zu denken und sektorenübergreifende Budgets zu schaffen. Dies ließe sich zunächst in Modellregionen pilotieren, mit dem Ziel, die ökonomischen Anreize mehr auf die Gesunderhaltung der Bevölkerung zu setzen als auf die Steigerung von stationären Fallzahlen. Dazu gehört auch, den Krankenhäusern den Zugang zur ambulanten Versorgung zu öffnen. Denn vielfach sind gerade in der Fläche die Krankenhäuser diejenigen Leistungsanbieter, die bei einem Ärztemangel in der Fläche noch einspringen und die Versorgung sicherstellen können. Das sollte zukünftig nicht mehr an den derzeitigen Reglementierungshürden scheitern. Bisherige halbherzige Versuche das Thema der Sektorenöffnung anzugehen, sind ja bekanntermaßen leider immer wieder gescheitert. Hier muss sich etwas in der kommenden Legislaturperiode tun.
Damit sind wir dann auch beim Krankenhaus als kooperierendem, intersektoralen Gesundheitsdienstleister, was aus meiner Sicht ohnehin die zukünftige Rolle unserer Kliniken sein wird.
Dr. Jörg Noetzel
Medizinvorstand und stellv. Vorstandsvorsitzender der Mühlenkreiskliniken