Welche Innovationen können wir heute schon sehen und wie zahlen diese auf diese mögliche Zukunft ein?
Das Gesundheitswesen befindet sich in einem dramatischen Zustand, der sich nicht allein auf einen Mangel an Innovationen zurückführen lässt. Ins-besondere die folgenden drei Faktoren dürften ursächlich für viele Fehlentwicklungen sein:
Faktor 1: Viele Gesundheitsunternehmen sind Finanzdienstleister.
Jedes Unternehmen bewegt sich in einem Spannungsfeld der teils widersprüchlichen Interessen verschiedener Stakeholder, auch Gesundheitsunternehmen bilden hierbei keine Ausnahme. Da die Eigentümer von vielen Gesundheitsunternehmen Finanzinvestoren sind, die eine gewisse Gewinnerwartung mitbringen, wer-den viele medizinische Entscheidungen durch kommerzielle Interessen beeinflusst. Am Ende werden zwar auch Gesundheitsdienstleistungen erbracht, diese dienen aber wiederum dem Zwecke der Gewinnerzielung.
Faktor 2: Im Gesundheitswesen werden Ressourcen verschwendet.
Nicht alle Gesundheitsunternehmen sind Finanzdienstleister. Insbesondere Gesundheitsunternehmen in öffentlicher Trägerschaft weisen allerdings oft eine unzureichende Prozessinfrastruktur auf, die dazu führt, dass finanzielle, personelle und andere Ressourcen verschwendet werden. Treten monetäre Defizite auf, werden diese oft durch öffentliche Gelder ausgeglichen. So fehlt der Anreiz, eine ressourcenschonende Prozessinfrastruktur aufzubauen und Versicherte bekommen für ihr Geld weniger Gesundheitsdienstleistungen als anderswo
Faktor 3: Das Gesundheitswesen zerstört die Erde.
Im Gesundheitswesen werden für viele Prozeduren Rohstoffe aus nicht erneuerbaren Quellen verwendet. Und auch der große Anteil an Einwegprodukten in der medizinischen Versorgung trägt dazu bei, dass sich viele Handlungen destruktiv auf das Ökosystem Erde auswirken. Von einer Kreislaufwirtschaft, bei der ausschließlich auf erneuerbare Ressourcen zurückgegriffen wird, ist das Gesundheitssystem noch sehr weit entfernt.
Purpose Economy als Alternative? Patientinnen und Patienten haben also die Qual der Wahl. Entweder begeben sie sich in die Obhut von Finanzdienstleistern, die zwar häufig über eine leistungsfähige Prozessinfrastruktur verfügen, Therapieentscheidungen aber ausweislich der Einschätzung vieler Fachleute auch anhand kommerzieller Überlegungen treffen (Osterloh 2022). Oder sie begeben sich in die Obhut von Einrichtungen, in denen zwar keine Gewinnerzielungsabsicht besteht, aber die defizitäre Prozessinfrastruktur einer modernen Spitzenmedizin im Wege steht.
Es liegt also nahe, das Beste aus bei-den Welten zusammenzuführen. Einerseits eine leistungsfähige und digitalisierte Prozessinfrastruktur, die die Bedürfnisse der Patient:innen bestmöglich erfüllt, andererseits eine gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung der Unternehmen, bei der nicht Investoren, sondern ausschließlich Patient:innen und Beschäftigte vom wirtschaftlichen Ergebnis des Unternehmens profitieren. Das schließt eine Ökonomisierung der Medizin nicht aus, ganz im Gegenteil: Eine ökonomische Herangehensweise an die Gesundheitsversorgung ist erforderlich, um einen verschwenderischen Verbrauch von Ressourcen zu verhindern und zugleich finanzielle Spielräume für eine bessere Ausgestaltung des Gesundheitswesens zu schaffen.
Unternehmen, bei denen der Purpose (= Sinn und Zweck) im Vordergrund steht und nicht in erster Linie kommerzielle Interessen erfüllt werden, lassen sich unter dem Begriff „Purpose Economy“ zusammenfassen. Zwei wesentliche Prinzipien unterscheiden Purpose-Unternehmen von herkömmlichen Unternehmen:
- Die Eigentümerschaft liegt bei den Menschen, die die Werte des Unternehmens teilen
- Die Eigentümerschaft berechtigt nicht zur Gewinnentnahme
Aufgrund dieser beiden Prinzipien wandelt sich die Rolle der Eigentümer dahingehend, dass sie das Unternehmen treuhänderisch im Sinne des gemeinsamen Purpose führen und weiterentwickeln. Diese Tätigkeit darf natürlich vergütet werden, eine Ausschüttung von Gewinnen an die Eigentümer ohne entsprechende Gegenleistung ist allerdings ausgeschlossen. (Homeyer u. Reiff 2020)
Purpose-Unternehmen verfolgen nicht in erster Linie kommerzielle Interessen, sondern dienen einem höheren Zweck. Da die Eigentümerschaft an ein gemeinsames Werteverständnis gebunden ist und nicht zur Gewinnentnahme berechtigt, stehen Gewinne in vollem Umfang für die Purpose-Erreichung zur Verfügung. Es existieren bereits heute Rechtsformen, die genau dieses Ziel konstitutionell im Unternehmen verankern können. Neben Genossenschaften und komplexen Stiftungsmodellen ist aktuell auch die neue Rechtsform „Verantwortungseigentum“ in der Diskussion, die das Potenzial hat, die Versorgungslandschaft nachhaltig zu prägen. (Sanders et al. 2020)
Prof. Dr. med. Felix Hoffmann
Purpose:Health e.V.