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Patientenwohl?

Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung

HEINZ NAEGLER UND KARL-HEINZ WEHKAMP

Kritiker der Ökonomisierungsthese weisen oft darauf hin, dass die medizinische Versorgung schon immer Geld gekostet hat und mit dem Problem knapper Ressourcen zu tun hatte. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen legen hingegen nahe, dass die aktuellen Veränderungen einen tieferen Einschnitt in die Entwicklung von Medizin, Versorgungspraxis, Krankenhaus und Gesundheitswesen darstellen. Sie verändern unter dem Einfluss gesundheitsökonomischer Steuerungen teils beabsichtigt, teils als ungewollte Nebenwirkung deren Charakter.

„Charakter der Medizin“ meint die Art und Weise, in der Patienten medizinisch behandelt werden. Charakterunterschiede können bestehen in Bezug auf die Frage, wie sehr die Patienten in den Behandlungsprozess einbezogen werden, in Bezug auf Sensibilität und Respekt gegenüber der Person des Patienten, ob die Behandlung aggressiv oder rücksichtsvoll ist, ob der Patient als menschliches Gegenüber geachtet oder als Werkstück oder gar als Faktor des Unternehmensgewinns bzw. als Kostenfaktor betrachtet wird. Medizin kann durch Aktionismus oder Geduld charakterisiert sein, dadurch, ob Selbstheilungskräften Raum gegeben wird oder nicht, ob Medizin ausschließlich naturwissenschaftlich-technisch basiertes Handeln oder auch psychische, seelische und spirituelle Aspekte berücksichtigt.

Auch dem Krankenhaus als Institution kann ein „Charakter“ zugeschrieben werden. Dieser kann sich unterscheiden je nachdem, ob es sich um ein gemeinnütziges Hospital, eine öffentliche Anstalt oder ein marktorientiertes Unternehmen handelt. Die rechtlichen und finanziellen Umweltbedingungen sowie die (Wettbewerbs‑)Bedingungen auf dem Behandlungs- und auf dem Arbeitsmarkt sind auf vielfältige Weise Anlass für das Ökonomisieren unternehmerischer Entscheidungen – mit Folgen für die von dem Krankenhaus zu verfolgenden Ziele und deren Beziehungen zueinander, das Leistungsangebot, die Ausstattung sowie die Belastung und Beanspruchung der Krankenhaus-Mitarbeiter.

Schließlich wandelt sich auch der Charakter des Patienten, der zunehmend als Kunde umworben wird, sich auf einem differenzierten Markt orientieren muss und hinsichtlich seiner Selbstverantwortung stärker gefordert ist. Er tritt zunehmend als emanzipierter und informierter Partner des Arztes in Erscheinung.

Charakter der Medizin

Die Zunahme betriebswirtschaftlicher Vorgaben und Einflussnahmen auf die medizinische Praxis hat Auswirkungen auf die Indikationsstellungen, die Wahl diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen, auf das Aufnahme- und Entlassungsmanagement sowie auf die Liegezeiten. Darüber hinaus ändert sich im Kontext von Gewinnerzielung und Wettbewerb der gesamte Charakter der Medizin. Sie wird technischer, stärker von therapeutischen und diagnostischen Eingriffen („procedures“) geprägt und aggressiver, weil zur Beobachtung von Krankheitsverläufen und Therapiewirkungen weniger Zeit vorhanden ist und somit eingreifende Verfahren gegenüber konservativen und zuwartenden Therapien in den Vordergrund treten.

Die Geschäftsführer und die Ärzte sprechen gleichermaßen durchgängig von starken ökonomischen Einflüssen auf die Krankenhausarbeit und ihr Entscheidungsverhalten. Diese Prozesse werden zwar – auch von den Ärzten – allgemein als legitim, in der konkreten Situation aber oft kritisch bis ablehnend bewertet. Sie werden als irritierend erlebt, wenn sie mit Regeln guter medizinischer Praxis und der medizinischen Ethik in Konflikt geraten. Gleichwohl wird auch von Verbesserungen der Versorgungsabläufe durch besseres Management berichtet, und die DRGs werden nicht nur abgelehnt.

Auszug aus „Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung“

Bild: © fotolia/Denis Junker


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