Analgesie und Sedierung des Intensivpatienten
Analgesie und Sedierung des lntensivpatienten
Der überwiegende Anteil der auf der Intensivstation behandelten Patienten erhält Medikamente zur Schmerzbekämpfung (Analgesie) und zur Dämpfung des Bewusstseins (Sedierung), häufig in Kombination (Analgosedierung). Die Ziele einer solchen Maßnahme sind:
■ ausreichende Analgesie nach Trauma oder ausgedehnter Operation bzw. bei pflegerischen, diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen
■ Dämpfung des Bewusstseins zur Toleranz der Beatmung, zur Stressreduktion und zur Vorbeugung eines „posttraumatischen Stresssyndroms"
■ Reduktion einer vegetativen Stressantwort mit unerwünschten Folgen (Hypertension, Tachykardie, Schwitzen)
Auf der anderen Seite birgt die Analgosedierung - insbesondere wenn eine kontinuierliche Applikation mittels Perfusor vorgenommen wird - die Möglichkeit mehrerer unerwünschter Nebenwirkungen, welche den Behandlungserfolg gefährden können. Dies sind im Wesentlichen:
■ zu tiefe und/oder zu lange Sedierung führt zur Verlängerung der Beatmungszeit mit unerwünschten Konsequenzen (beatmungsassoziierte Pneumonien, beatmungsassoziierte Lungenschädigung, verzögerte Entwöhnung)
■ Hypotension und Bradykardie
■ Reflux, Magenentleerungsstörung, Darmparalyse
■ nahezu alle verwendeten Analgosedativa wirken bei hochdosierter und langer Anwendung immunsuppressiv
■ hohe Fettzufuhr, z.B. durch Propofol
Aktuell wurden daher die Ziele einer „patientenorientierten" Analgesie und Sedierung neu definiert:
■ individuelle Steuerung einer ausreichenden, aber nicht „überschießenden" Analgesie und Sedierung mittels ständig aktualisierter Ziele und Kontrolle des Erreichens dieser Zieledurch wiederholtes „Monitoring"
Vermeidung von Substanzen mit schlechtsteuerbarer Wirkungsdauer oder starker Neigung zur Gewebeakkumulation
■ Einsatz von Protokollen oder Algorithmen zum gezielten Einsatz von Analgosedativa, um Überdosierungen zu vermeiden
Die ausführliche Darstellung und Umsetzung dieser Ziele findet sich in aktuellen Leitlinien (S3 Leitlinie: ,, Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der lntensivmedizin"), welche durch die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und lntensivmedizin (DGAI) in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) verabschiedet wurde.
2.1 Monitoring von Analgesie und Sedierung
Eine der wesentlichen neuen Aspekte der Kernaussagender Leitlinien ist die routinemäßige Verwendung von Überwachungsinstrumenten zur individuellen, angepassten Steuerung der Tiefe der Analgosedierung. Einfach anwendbare Monitoring-Instrumente sind Scoring Systeme, mit deren Hilfe das Ausmaß der aktuellen Schmerzempfindung bzw. der Grad der Bewusstseinsdämpfung durch Skalen erfasst werden.
Für die Abschätzung der Schmerzempfindung des ansprechbaren Patienten eignen sich einfache „visuelle Analogskalen" (VAS), welche auch in der Anästhesiologie/Schmerztherapie angewendet werden. Beim bewusstlosen Patientenmuss die Schmerzintensität indirekt über vegetative Ausprägungen abgeschätzt werden.
Für die Beurteilung der Sedierung sind gutetablierte, einfach anzuwendende Scores entwickelt, welche im klinischen Alltag die wiederholte Erfassung und Steuerung der Sedierungstiefe vereinfachen. Neben dem RAMSAY-Score, der in der Vergangenheit häufig eingesetzt wurde, wird derzeit die Richmond Agitation-Sedation-Scale (RASS) favorisiert, weil dieser Score nicht nur das Ausmaß der Bewusstseinsdämpfung, sondern auch den Grad der Agitation mittels Punkten bewertet (s. Tab. 1).
Tabelle 1
Die mehrfache tägliche Erfassung (z. 8. einmal pro Pflege-Schicht) des Bewusstseinszustandes ist sinnvoll und hilft, eine adaptierte ausreichende Sedierung für den Patienten festzulegen und/oder eine zu tiefe Sedierung durch Reduktion der Sedativa zu verhindern. Hierzu kann man sich eine Tafel mit der RASS-Skala an den Bettplätzen anbringen. Ein RASS-Score von 0/-1 soll so früh wie möglich etabliert werden, da die ersten 48 Stunden der lntensivbehandlung entscheidend für das Behandlungsergebnis sind.
2.2 Grundzüge der Analgesie
Die weitgehende Schmerzfreiheit ist für Intensivpatienten von essenzieller Bedeutung: Die Folgen einer ungenügenden Schmerzausschaltung reichen von Wundheilungsstörungen, Stress-bedingten vegetativen Komplikationen bis zur späteren psychischen Belastungsstörung. Auf der anderen Seite wurde gezeigt, dass eine inadäquat hohe und lang verabreichte Analgesie die Komplikationsrate, die Intensivbehandlungsdauer und letztlich die Mortalität von Patienten beeinflussen kann.
Die Kernaussagen der S3-Leitlinie zur Analgesie
■ Ein routinemäßiges Monitoring der individuellen Schmerzsituation ( z.B. 8-stündlich) wird empfohlen.
■ Die Anlagesie wird auf der Intensivstation vorwiegend opioidbasiert durchgeführt.
■ Bei postoperativen Patienten, die einer raschen Entwöhnung von der Beatmung zugeführt werden sollen, kann Remifentanil aufgrund seiner pharmakologischen Besonderheiten Vorteile bieten.
■ Eine patientenkontrollierte Analgesie wird empfohlen, sobald der Zustand des Patienten dies ermöglicht (RASS 0/-1 und kein Delir)
■ Auch eine Kombination mit Regionalverfahren ist möglich.
■ Die Rolle von Nicht-Opioid-Analgetika wird neu diskutiert, weil beispielsweise NSAID ein vergleichsweise geringes analgetisches Potential bei einem gleichzeitig für Intensivpatientenungünstigen Nebenwirkungsprofilaufweisen.
■ Es wird die Entwicklung klinikinterner Standards empfohlen, um die Therapiesicherheit zu erhöhen und Entscheidungsfindungen zu erleichtern.
Darüber hinaus ist die adjuvante Gabe von Nicht-Opioid-Analgetika (z.B. Diclofenac, Ibuprofen)nach individueller Abwägung möglich. Clonidin wird ebenfalls häufig zusätzlich eingesetzt, da es zu einem Einspareffekt von Sedativa und Analgetika beiträgt. Die Leitlinien empfehlen einen frühzeitigen Einsatz von Clonidin in allen Phasen der Analgosedierung. Es folgt eine kurze Charakterisierung von häufig eingesetzten Analgetika bezüglich des Einsatzes auf Intensivstationen:
Fentanyl (z.B. Fentanyl®)
Preiswert, aber unter Dauer-Infusion schlecht steuerbar wegen langer Kontext-sensitiver Halbwertszeit und Neigung zur Gewebeakkumulation. Ausgeprägte Darmparese.
■ Dosierung: 0,1-0,3 mg/h i. v.
Sufentanil (z.B. Sufenta®)
Nicht preiswert, aber gut steuerbar und sedierend (= Einspareffekt für Sedativa). Weniger atemdepressiv als Fentanyl und daher auch in niedriger Dosierung für die Weaning-Phase geeignet. Hinweise auf eine geringere Inzidenz von Darmparalysen im Vergleich zu Fentanyl.
■ Dosierung: 15-80 μg/h i. v.
Für die kontinuierliche Analgesie, welche für mehrere Tage (< 1 Woche) notwendig ist, z.B. nach Trauma oder bei akuter respiratorischer Insuffizienz, eignet sich die Kombination Sufentanil/Propofol besonders gut, da zwei gut steuerbare Substanzen kombiniert werden und häufig durch den sedierenden Effekt von Sufentanil eine geringe Dosierung von Propofol (z.B. 2 mg/kg KG/h) ausreichend ist.
Piritramid (z.B. Dipidolor ®)
Gut geeignet für die nur kurze Zeit benötigte Analgesie, v. a. als Bolus-Gabe. Geringere Atemdepression und Darmparalyse (?) im Vergleich mit Fentanyl/Sufentanil.
■ Dosierung: Bolusgabe 3-7,5 mg i. v., Repetition frühestens nach 3 h.
Morphin (z. 8. Morphin Merck®)
Preiswert, aber wegen schlechter Steuerbarkeit und Freisetzung von aktiven Metaboliten zur kontinuierlichen Applikation nicht, bzw. nur in „Palliativsituationen" geeignet. Bolus-Applikation günstig bei akutem Myokardinfarkt oder akuter Asthma/COPD-Exazerbation.
■ Dosierung: Bolus = 3-5 mg i. v., kontinuierlich: 5-10 (-15) mg/h i. v.
Ketamin (z. B. Ketamin lnresa)
Sonderstellung unter den Analgetika, da es durch die Aktivierung zentraler sympathischer Areale zur Stimulierung des kardiovaskulären Systems führt. Wegen Auslösung von Halluzinationen und Dysphorien nicht als Mono-Therapeutikum geeignet: nur mit Propofol oder Benzodiazepinen zu kombinieren.
■ Dosierung: 100-200 mg/h i. v.
In sehr niedriger Dosierung ( o ,2 mg/kg KG/h i. v.) ist Ketamin eine gute ergänzende Maßnahme bei schweren oder chronischen Schmerzzuständen (z.B. ,,Phantomschmerz" nach Amputation).
Die kontinuierliche Gabe von sehr niedrig dosiertem Ketamin (0,2 mg/kg KG/h i. v.) ist - ohne Notwendigkeit einer Ergänzung durch Propofol oder Benzodiazepine - geeignet, bei schwer behandelbaren oder chronischen Schmerzzuständen zu helfen und andere Analgetika einzusparen.
2.3 Grundzüge der Sedierung
Die Sedierung dient der Toleranz der Intensivbehandlung (pflegerische und ärztliche Maßnahmen, Lärm, Temperatur, Licht, Auflösung des Tag-Nacht-Rhythmus) sowie der Toleranz der mechanischen Beatmung und der Vermeidung von vegetativen und psychischen Folgeschäden. Allerdings können auch Sedativa erhebliche unerwünschte Effekte auslösen. Zu tief sedierte Intensivpatienten erleiden mehr Komplikationen, werden länger auf Intensivstationen behandelt und zeigen ein schlechteres Outcome im Vergleich zu „adaptiert" sedierten Intensivpatienten.
Die Kernaussagen der S3-Leitlinie zur Sedierung
■ Die aktuelle Evidenz belegt, dass eine messbare Sedierung immer vermieden werden soll, solange keine zwingende Indikation für eine solche vorliegt.
■ Eine tiefe Sedierung, auch innerhalb der ersten 48 Stunden, geht mit einer erhöhten Mortalität, einer prolongierten Beatmungsdauer und einer verlängerten Intensiv- und Krankenhausverweildauer einher.
■ Außerhalb spezieller Indikationen (z.B. chirurgische Indikationen, Hirndrucksymptomatik mit drohender Einklemmung oder zur Reduktion des Sauerstoffverbrauchs bei drohender Hypoxie) soll das Ziel ein wacher, kooperativer Patient sein, der die intensivmedizinischen Maßnahmen gut toleriert (RASSo/-1).
■ Eine adäquate Sedierung erfordert die regelmäßige Überprüfung und ggf. Korrektur des Sedierungsgrades.
■ Patienten bedürfen keiner Aufwachversuche, wenn keine Sedierung durchgeführt wird. Der Stellenwert von täglichen Sedierungsunterbrechungen (daily sedation interruptions [DSI]) zeigt sich in einem aktuellen systemischen Review nicht mehr der protokollbasierten Sedierung überlegen.
■ Der Ziel RASS 0/-1 soll so früh wie möglich etabliert werden, da die ersten 48 Stunden der Intensivbehandlung entscheidend für das Behandlungsergebnis sind. Daher sollte ein Sedierungsprotokoll mit dem Prinzip der ,,early goal directed therapy" folgen.
■ Für eine Sedierungsdauer < 24 h empfiehlt sich der Einsatz von Propofol.
■ Für eine Sedierungsdauer > 24 h können Propofol und/oder Midazolam sowie eine inhalative Sedierung empfohlen werden.
■ Bei längerdauernder Anwendung von Propofol muss auf die Zeichen eines PropofolInfusions-Syndroms geachtet werden.
■ Die Beendigung einer Sedierung, die > 72 h zugeführt worden war, sollte zur Vermeidung schwerer Entzugssyndrome ausschleichend erfolgen.
Es folgt eine kurze Charakterisierung von häufig eingesetzten Sedativa bezüglich des Einsatzes auf Intensivstationen:
Propofo/ (z. 8. Disoprivan ®)
Gut steuerbare Substanz, aber Kosten-intensiv. Bei hochdosierter oder längerer Anwendung: mögliche Entwicklung des „Propofol-Infusions-Syndroms", einer schwerwiegenden, potenziell bedrohlichen Komplikation. Erhebliche Zufuhr von Fetten durch Propofol beachten!
■ Dosierung: 2-4 mg/kg KC/h.
Midazo/am (z. 8. Dormicum®)
Gute Anxiolyse und Sedierung mit (theoretischer) günstiger Halbwertszeit. Unter kontinuierlicher Applikation ausgeprägte Gewebeakkumulation: nach Absetzen mehrtägiges „Warten" auf Vigilanzrückkehr! Daher für die kontinuierliche Gabe nur sehr eingeschränkt und in Ausnahmefällen geeignet.
Die kontinuierliche Applikation von Midazolammittels Perfusor über einen längeren Zeitraum (> 24 h) führt zur Anreicherung der Substanz im Gewebe. Nach Absetzen „flutet" Midazolam in die Blutbahn zurück und kann somit eine nicht-vorhersehbare Wirkungsverlängerung - insbesondere beim älteren lntensivpatienten - hervorrufen.
Midazolam·Perfusor nur in Ausnahmefällen verwenden! Wenn Perfusor, regelmäßige Unterbrechung der Zufuhr (,, drug holidays'?. Besser ist eine wiederholte, bedarfs-gesteuerte Bolus-Applikation (z.B. 5-10 mg).
Lormetazepam (z. 8. Seda/am®)
Lormetazepam wird ohne Kombination mit anderen Sedativa eingesetzt, wenn nur noch eine geringe Sedierung zur Tubustoleranz für einige Tage erforderlich ist. Die Gefahr einer Toleranzentwicklung ist dann gering. Lormetazepam ist gut steuerbar und besitzt eine geringe Kumulationsneigung. Deutlich geringeres Risiko einer Hypotonie oder Bradykardie als unter Clonidin oder Dexmedetomidin.
■ Dosierung: Kontinuierliche Infusion mit 0,2-0,4 mg pro Stunde beim erwachsenen Patienten
Dexmedetomidin (z.B. Dexdor®)
Dexmedetomidin wird ohne Kombination mit anderen Sedativa eingesetzt, wenn nur noch eine geringe Sedierung zur Tubustoleranz für einige Tage erforderlich ist. Die kontinuierliche Gabe wird auch beim Delir empfohlen. Es eignet sich auch zur Vermeidung von Entzugssymptomen beim Ausschleichen einer anderen längerdauernden sedierenden Therapie. Es besitzt koanalgetische Eigenschaften.
Dexmedetomidin darf nicht angewandt werden bei unbehandelter Bradykardie und Hypotonie, bei akuten zerebrovaskulären Ereignissen und Patienten mit Neigung zur malignen Hyperthermie. Die vasokonstriktorische Nebenwirkung kann sich auch bei Patienten mit KHK ungünstig auswirken.
■ Dosierung: Kontinuierliche Infusion von0,7 μg/kg KG/h
■ Anpassung der Dosierung: 0,2-1,4 μg/kg KG/h348
In der SPICE-III Studie zeigte sich, dass der initiale hochdosierte Einsatz von Dexmedetomidin mit dem Ziel einer tiefen Sedierung zu einer erhöhten Mortalität bei Patienten unter 65 Jahren führt, vor allem bei nicht-operativen Patienten. Dexmedetomidin sollte daher in dieser Altersgruppe nicht zur tiefen Sedierung (RASS< -1) und nicht in einer Dosierung > 0,7 μg/kgKG/h verabreicht werden (Expertenmeinung der Leitliniengruppe „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement").
Zusammenfassend lassen sich die von den Leitlinien vorgegebenen Ziele für eine sinnvolle Analgosedierung in der Intensivmedizin schlagwortartig formulieren:
■ adaptierte, individuell angepasste Anwendung
■ Definition von Zielen: Schmerzfreiheit, erforderliche Sedierungstiefe (RASS o/-1)
■ regelmäßiges Monitoring durch Schmerz-Skalen und Sedierungs-Scores
■ Vermeidung zu hoch dosierter und zu lang angewendeter Analgosedierung ( = schlechteres Outcome!)
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus "Pharmakotherapie in der Intensivmedizin 2025 | 2026", herausgegeben von Dr. med. Marcus Creutzenberg, Dr. med. Kurt Hergeth, Dr. Monika Bäumel und Prof. Dr. med. Thomas Bein. Alle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.