Organisation neu denken
Wenn Ressourcen knapp sind. Organisation neu denken –
Der große Wandel und die Rolle der Digitalisierung im Krankenhaus
Carla Eysel
1. Einleitung
Krankenhäuser sind hierarchisch geprägt. Berufsbilder sind über Jahrhunderte gewachsen. Schon vor etwa 300 Jahren, als die Charité entstand, war das Verhältnis zwischen Ärzten und Pflegekräften stark hierarchisch. Die Medizin befand sich noch im Prozess der Professionalisierung, und Ärzte genossen eine hohe gesellschaftliche Stellung. Sie waren meist Männer, die an Universitäten eine formale Ausbildung erhalten hatten, was sie von anderen im Gesundheitswesen Tätigen, wie Hebammen oder Krankenwärterinnen, abhob. Die Arbeit eines Arztes konzentrierte sich auf die Diagnosestellung und therapeutische Entscheidungen, während praktische Tätigkeiten, die heute auch von Ärzten übernommen werden, damals oft nicht zu ihren Aufgaben gehörten.
An der Charité gab es im 18. Jahrhundert einen klaren sozialen und beruflichen Abstand zwischen Ärzten und Pflegekräften. Die Hierarchie spiegelte sich nicht nur im Ansehen und in der Bezahlung wider, sondern auch in der militärisch geprägten Organisationsstruktur der Krankenhäuser. Pflegekräfte unterstanden den Ärzten und führten deren Anweisungen aus, hatten aber kaum Autonomie, Möglichkeiten zur Weiterbildung und zu Entwicklungsmöglichkeiten.
Dieses tradierte Rollenverständnis wirkt bis in den heutige Arbeitsalltag hinein. Das Bild des Arztes als Mann lässt auch heute noch Patienten insbesondere junge Ärztinnen fragen, wann sie denn den Arzt sehen können. Hierarchien und transaktionales Führungsverhalten prägen die Kliniken noch immer. In einer Zeit in der etwa 70% der Absolventen des Medizin-Studiums Frauen sind, die von Kooperation und Kollaboration geprägt ist, um der unglaublichen Geschwindigkeit und Verfügbarkeit von Wissen gerecht zu werden, sind derartige Strukturen nicht geeignet die Leistungsfähigkeit von Organisationen zu sichern. Schnelle Anpassungsfähigkeit, lösungsorientierte Teamarbeit und Chancengleichheit unabhängig von Geschlecht und Herkunft sind relevant, um den Herausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen.
Gleichzeitig hat die Digitalisierung in nahezu allen Bereichen Einzug gehalten und bietet insbesondere im Personalwesen enormes Potenzial. Kliniken stehen vor der großen Herausforderung ihre medizinisch tätigen Mitarbeitenden von bürokratischen Aufwänden zu entlasten, Kompetenzen an die richtige Stelle zu allokieren und die knappen Ressourcen möglichst effektiv und gleichzeitig mitarbeiterorientiert einzusetzen, um nur ein paar Aspekte der digitalen Herausforderungen zu benennen. Was dieser Paradigmenwechsel für Leitungspersonen in Kliniken an Herausforderungen mit sich bringt und mit welchen Lösungsansätzen der Personalbereich der Charité Antworten bietet, wird nachfolgend dargestellt.
2. Herausforderungen und Lösungen für Leitungspersonen im Krankenhaus
Leitungspersonen in Krankenhäusern stehen heute vor einer Vielzahl komplexer Herausforderungen. Besonders wenn Ressourcen knapp sind, ist es entscheidend, Strategien zu entwickeln, die sowohl die Qualität der Patientenversorgung als auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden sicherstellen. Dazu ist es wichtig, mit umfassenden Führungskompetenzen ein differenziertes Spektrum an Handlungsmöglichkeiten sicherzustellen, um Antworten auf das komplexe Umfeld, sich schnell entwickelndes Wissen und die Arbeit in neuen Organisationsformen zu bieten.
2.1 Arbeitskräftemangel und wirtschaftlicher Druck
Eine der größten Herausforderungen in der Krankenhausleitung ist der anhaltende Arbeitskräftemangel. Der demografische Wandel, komplexer werdende Patientenfälle und das Altern der „Baby Boomer“ Generation verbunden mit zunehmender Arbeitsbelastung und ineffizienter Verteilung der vorhandenen Arbeitskräfte führen dazu, dass immer weniger qualifiziertes Personal pro Patienten zur Verfügung steht. Dies betrifft sowohl Pflegekräfte als auch ärztliches Personal. Leitungspersonen müssen daher Strategien entwickeln, um Mitarbeitende zu gewinnen, zu binden und ihre Zufriedenheit zu steigern. Gleichzeitig müssen Qualitätsanspruch, Leistungsbereitschaft, Neugier und Innovationsfreude geweckt und gefördert werden.
Die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Steigende Kosten für Medizinprodukte, Energie und Medikamente stehen sinkenden Einnahmen gegenüber. Leitungspersonen müssen daher wirtschaftlich denken und handeln, ohne dabei die Versorgungsqualität zu gefährden. Effektive, an ganzheitlichen Prozessen ausgerichtete Betriebsabläufe und die Identifizierung von Einsparpotenzialen sind notwendig, um ein sensibles Gleichgewicht zwischen Kostenreduzierungen und qualitativ hochwertiger Patientenversorgung zu gewährleisten.
Mit einfachen Einsparmaßnahmen beim Personal können heute die wirtschaftlichen Engpässe nicht nachhaltig beantwortet werden. Kompetente und leistungsbereite Mitarbeitende werden dringend benötigt, um die Bedürfnisse der Patienten bedienen zu können. Es geht daher darum, Klinikpersonal zu binden und zu entwickeln. Dazu müssen Arbeitsabläufe so ressourcenschonend wie möglich gestaltet und gleichermaßen auf Effektivität und Effizienz geprüft werden. Die Instrumente der Digitalisierung sind dafür eine große Unterstützung.
2.2 Bindung und Prozesse
Auf einem gemeinsamen Fundament Lösungen erarbeiten
Ausgehend von einer umfassenden Mitarbeiterbefragung, die uns die Druckpunkte unserer Belegschaft im Detail transparent gemacht hat, haben wir unser Selbstverständnis neu definiert. In einem ebenen- und professionsübergreifenden Prozess haben wir in interaktiven Fokusgruppen intensiv die Werte erarbeitet, die zukünftig unser Handeln und die Zusammenarbeit in der Charité prägen sollen (s. Abb. 1). Wichtig war uns hierbei ein Wertefundament zu schaffen, das gut zu den strategischen Zielen unseres Unternehmens passt. Daraus ist „Charité – was uns ausmacht“ entstanden, ein Set aus sechs Werten und adäquaten Beschreibungen, die dann Grundlage für ein Charité-spezifisches Kompetenzmodell bilden. Passende Instrumente wie das neue Charité-weite Mitarbeitergespräch oder innovative Qualifizierungsprogramme machen die gemeinsamen Werte erlebbar und etablieren sie sukzessive in der Organisation.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Mitarbeitendenbefragung waren, dass Mitarbeitende sich wünschen, unterbrechungsärmer, ressourcenschonender und interprofessioneller zu arbeiten. Dazu haben wir uns Formate überlegt, die gleichzeitig Leitungspersonen dabei unterstützen, Führung neu zu denken, sowie Mitarbeitende zu fördern und zu binden und uns helfen Prozesse konsequent auf den Patientennutzen auszurichten.
Wichtig ist es daher auch aus dem Personalbereich heraus mit digitalen Prozessen zu unterstützen, um das defragmentierte Arbeiten zu ermöglichen. Ein Anwendungsportal, das den Mitarbeitenden die Möglichkeit gibt, Prozesse wie Gehaltsabrechnung anzeigen, Lohnsteuerbescheinigung laden, Arbeitszeit verändern, Daten zu ändern – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche – ermöglicht, erleichtert und beschleunigt viele Prozesse. Ergänzt wird ein solches Anwenderportal, das zwingend eine Schnittstelle in das Abrechnungssystem braucht, um ein firmenspezifisches „large language Modell“, mit dem Fragen rund um Arbeitsbedingungen beantwortet werden können. So können Tarifverträge und Dienstvereinbarungen eingelesen werden und Fragen von Mitarbeitenden schnell und richtig beantwortet werden. Das System kann z.B. die Frage beantworten, wie sich die Vergütung bei Übernahme einer anderen Aufgabe verändert, oder wie sich eine Elternzeit auswirkt, wenn man eine bestimmte Eingruppierung hat. Gleichzeitig werden im Personalbereich Ressourcen frei, um individuelle Beratung anzubieten, die über einfache Fragen hinausgeht.
Passend zu unserem strategischen Ziel, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, haben wir zudem das Projekt Station 2030 – das sich auf der Strategie 2030 folgende Prozessverbesserungen in Teams bezieht, gestartet, das unseren Mitarbeitenden ermöglicht Prozessverbesserungen gemeinsam zu erarbeiten. Mit dem Projekt haben wir das Ziel verfolgt, Prozessflüsse zu verbessern und Effektivitätssteigerungen durch Harmonisierung von Abläufen und neue Arbeitszeitmodelle zu erreichen. Der Projektablauf folgte den Prinzipien des „Design Thinking Zyklus“, einem iterativen Prozess, der aus den Phasen Verstehen, Beobachten, Sichtweisen definieren, Ideen finden und Prototyp entwickeln, besteht und zum Ziel hat innovative Lösungen zu finden, und der schnelles Scheitern und Lernen sowie flache Hierarchien beinhaltet.
Drei Stationen der Klinik wurden im ersten Projektzyklus eingeladen, begleitet von Experten mit Design-Thinking-Expertise sich gemeinsam so auszurichten, dass die Arbeitsbedingungen zum einen effektive Prozesse und zum anderen qualitativ hochwertige Ergebnisse in der Patientenversorgung liefern. Wir sind dabei von der Prämisse ausgegangen, das effektive Prozesse und gute Qualität auch die Mitarbeiterzufriedenheit fördern. Mit der Methode der wechselseitigen Beobachtung im Arbeitsalltag haben sich alle Berufsgruppen der drei Stationen in ihren Routinen und Abläufen begleitet und jeweils aus der Perspektive der anderen Berufsgruppe den Tag erlebt.
Abb. 1: Charité-relevante Werte
Aus diesen Beobachtungen konnten die Kolleginnen und Kollegen sehr schnell erkennen, wo Verbesserungspotentiale liegen. Gemeinsame Prozessroutinen, festgelegte Punkte zur Kommunikation und Wissenstransfer zwischen den Berufsgruppen waren die Schlüsselergebnisse.
Daraus erarbeiteten die Teams Lösungen, die zu ihren spezifischen Situationen passen. Allen gemeinsam ist, dass Arbeitszeiten der Berufsgruppen harmonisiert, feste Übergabe und Kommunikationsroutinen etabliert und gemeinsame Kommunikationslösungen für den Austausch mit den Patienten erarbeitet wurden. Ein halbes Jahr nach der Einführung dieser Maßnahmen und der Durchführung der wechselseitigen Beobachtungen ist die Fluktuation in den Stationen messbar gesunken, die Zufriedenheit aller Beteiligter gestiegen und die Lust, weiter miteinander Ideen zu entwickeln, unverändert hoch. Wichtig ist hierbei, dass es keine Vorgaben zum Ergebnis gab, sondern die Mitarbeitenden eingeladen waren, selbst Lösungen zu finden und diese auch in die Umsetzung zu bringen. Hierdurch wurde der Zusammenhalt im Team nachhaltig gestärkt, Kreativität und Leistungsbereitschaft gefördert und das gemeinsame Ziel sehr klar herausgearbeitet. Alle Leitungspersonen haben diesen Prozess unterstützt und aktiv mitgewirkt und so gezeigt, dass gemeinsam Veränderung auch in schwierigem Umfeld möglich ist. Aufgrund des Erfolgs des Formats haben wir den zweiten Prozesszyklus gestartet und erleben großes Interesse von weiteren Stationen, die das Modell nutzen und ihre spezifischen Verbesserungspotentiale realisieren möchten.
Dieser Prozess wird zudem genutzt, die klinischen Prozesse, z.B. der Aufnahme oder Entlassung im neuen klinischen Informationssystem, nutzerorientiert zu gestalten. Gleichzeitig werden die Ablauf- und Prozessinformationen genutzt, um ein neues KI-basiertes Dienstplanungstool zu konfigurieren. Hier geht es im Wesentlichen darum, für jede Uhrzeit des Tages zu hinterlegen, welche Kompetenzen für eine ideale Patienten- und Prozessorientierte Aufstellung erforderlich sind und in welcher Menge sie an welcher Stelle anwesend sein müssen. Aus dem „Skill Management Systems“ werden die Kompetenzen der Mitarbeitenden beigesteuert, so dass es möglich ist, aufgrund von vergleichenden, stetig lernenden Patientenflussdaten zu prognostizieren, welche Kompetenz wann und wo anwesend sein muss, damit die Prozesse gut ablaufen. Die KI verplant dann Mitarbeitende anhand ihrer Kompetenz- und Zeitprofile ein und erstellt so den theoretisch idealen Dienstplan. Mitarbeitende sind im System so erkennbar, dass sie untereinander tauschen können, ohne dass eine Person intervenieren muss. Diese Fortschreibung von Dienstplanungssystemen ermöglicht effektive Personalsteuerung im Sinne der Patienten und eine hohe Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Aufgrund der lernenden Kompetenz des Systems werden Effizienzen stets weiterentwickelt.
Begleitet haben wir dieses Projekt durch ein auf unsere Werte ausgerichtetes Führungskräfte-Curriculum (s. Abb. 2), das sich an Führungskräfte aller Berufsgruppen richtet. Dort werden die Grundlagen transformationaler Führung in neuen disruptiven Umgebungen vermittelt und die individuellen Führungskompetenzen gestärkt. Die Vernetzung mit anderen Führungskräften über die Gruppen hinweg ergänzen das Programm. In einer Kombination aus Präsenzmodulen, virtuellen Gruppen-Coachings und individuellen Bausteinen werden unsere Leitungspersonen in interprofessionellen Gruppen in ihrer Führungsrolle gestärkt. Jede der Gruppen wird von einem Vorstandsmitglied im Sinne einer Patenschaft begleitet, um so aktuelle Herausforderungen und strategische Erfordernisse direkt austauschen zu können.
Zuhören und Farbe bekennen sind in der Leitungsarbeit elementar, um professionell kommunizieren zu können. Damit die Chemie stimmt, lernen die Teilnehmenden Konflikte mit Courage und Offenheit zu lösen und sie nicht auszusitzen oder bis zur Eskalation zu warten. Ganz wichtig ist die Frage, wie wir vom ich zum wir kommen, also wie wir stabile Teams formen und entwickeln. All diese Elemente machen das Curriculum aus und unterstützen unsere Leitungspersonen dabei, sich ganz spezifisch auf die Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Arbeitskräftemangel und wirtschaftlichem Druck einzustellen, von den Erfahrungen anderer Leitungspersonen zu profitieren und Klarheit über die eigenen Stärken und Entwicklungsfelder zu gewinnen. Soziale Bindungen werden gestärkt und Klarheit über die eigene Wirkmacht entsteht.
Abb. 2: Führungskräftecurriculum
Begleitet wird dieses Instrument durch eine digitale Lernplattform, die Lerneinheiten, sogenannte Nuggets, jederzeit und App-basiert zugänglich macht. Neben spontanem Lernen sind auch die Normfortbildungen dort abgebildet. Eine gute Schnittstelle zum OrgManagement des HR-Systems, der Datenstruktur die Menschen Führungsstrukturen zuordnet, ermöglicht, dass Lernende und Vorgesetzte regelmäßig ihren Lernstatus übermittelt bekommen und Erinnerungsmails zielgerichtet versandt werden können. Die Digitalisierung des Lernens hat die Erfolgsquote der Normfortbildung in Richtung 90% pro Jahr verschoben und zeigt, wie sinnvoll digitale Instrumente analoge Schulungsinhalte ergänzen können.
Ein besonders erfolgreiches Beispiel digitaler Schulungen ist unsere Brandschutzschulung mittels VR-Brillen. Teilnehmende erleben ein Brandereignis in einer Unternehmensumgebung und lernen ganz aktiv, wie sie sich zu verhalten haben. Dies entlastet Führungskräfte und die Gesamtorganisation, da das Wissen um gut durchgeführte Brandschutzschulungen, die auch sicher dokumentiert sind, große Sicherheit bietet.
Abb. 3: Kompetenzmodell
Fehlerkultur implementieren, Mut zeigen
Wie können Leitungspersonen so viel Sicherheit vermitteln, dass Mitarbeitende Fehler melden, bereit sind aus Fehlern zu lernen und Innovationen zur Vermeidung von Fehlern entstehen? Sicher sind auch hier Werte elementar. Angemessener, sachlich respektvoller Umgang miteinander, Fürsorge im Team und einzelnen gegenüber sollten den Alltag prägen und von der Leitungsperson vorgelebt und eingefordert werden. Als Basis für unsere Personalentwicklungsinstrumente haben wir – natürlich ausgehend von unseren Werten – ein überfachliches Charité-spezifisches Kompetenzmodell (s. Abb. 3) in einen gemeinsamen Prozess mit Teilnehmenden aller Fachbereiche und Professionen erarbeitet. Das Kompetenzmodell bildet beispielsweise die Grundlage für unser neues Mitarbeitergespräch „Charité – Gemeinsam im Dialog“ und wird zur Basis unseres zukünftigen Führungsfeedbacks. Dieses Feedback wird in einem digitalen Tool aufgesetzt und ermöglicht damit eine Dokumentation von Veränderung von Führungsverhalten und das Zuweisen konkreter Schulungsinhalte je nach Status.
Es ist wichtig, Raum für individuelle Gespräche zu schaffen und mindestens jährlich ein Mitarbeitergespräch zu führen. Hier können zum einen klare Erwartungen an Verhalten und Leistung durch die Leitungsperson angesprochen werden, zum anderen aber auch Sicherheit und der Rahmen für den Umgang mit Abweichungen vereinbart werden. Dieses dann konsequent im Alltag zu leben, ist die Aufgabe der Leitungsperson. Um auch ihr Feedback über ihr Verhalten zu geben, muss, basierend auf derselben Systematik wie der Rahmen des Mitarbeitergesprächs, ein Vorgesetztenfeedback implementiert werden. Durch die Spiegelung des Verhaltens der Leitungsperson durch ihre Mitarbeitenden kann sich Leitung weiter verbessern, regelmäßiger Austausch über Teamentwicklung strukturiert etabliert und Offenheit im Umgang miteinander gefördert werden. Aufgrund der positiven Resonanz möchten wir im nächsten Schritt ein 360 Grad Feedback für unsere Führungskräfte etablieren. So können Fehlerkultur, offene Kommunikation und gute Teamarbeit strukturiert implementiert werden.
Die Ergebnisse werden dokumentiert und dienen als Grundlage gezielter Personalentwicklung. Wünsche und Einschätzung der Mitarbeitenden einerseits und die Einschätzung des Vorgesetzten andererseits können so dokumentiert und digital abgerufen werden – offene Stellen aus dem Bewerbermanagementsystem können mit dem Personalentwicklungspool verbunden und Mitarbeitende darauf eingeladen werden. So wird das Potential der Organisation zielgerichtet genutzt und Stellen auch intern gut besetzt.
Courage und Offenheit sind Werte, die wir stärken möchten. Dazu braucht es den Mut, auch die Dinge zu adressieren, die noch nicht gelungen sind. Hier sind der Vorstand und das Top Management als Vorbild gefordert. Um dies erlebbar zu machen, haben wir die „Fail Nights“ etabliert. Angelehnt an die bekannten „Fuck up Nights“ sprechen die Mitglieder des Vorstands und des Top Managements Fehler und was sie daraus gelernt haben an und ermutigen die Teilnehmenden dazu, von eigenen Fehlern und das daraus gelernte zu erzählen. Dieses Format steht allen Mitarbeitenden offen, bricht damit die klassische Hierarchie und erzeugt eine große Dynamik hin zu einer offenen Fehlerkultur.
Digitalisierung und technologische Innovationen
Die fortschreitende Digitalisierung stellt Krankenhäuser vor große Herausforderungen, eröffnet aber auch erhebliche Chancen. Die Integration von Technologien wie elektronische Patientenakten, Künstliche Intelligenz (KI) und Telemedizin kann die Effizienz und Qualität der Versorgung verbessern und Zusammenarbeit nachhaltig verändern. Die strategische Entscheidung für die richtigen Technologien, die Sicherstellung der Finanzierung und die erfolgreiche Implementierung sind zentrale Herausforderungen für das Top Management im Krankenhaus. Zudem muss durch die Leitungskräfte auf allen Ebenen gemeinsam sichergestellt werden, dass die Mitarbeitenden für den Umgang mit den neuen Technologien sensibilisiert und ertüchtigt werden.
Zudem erfordert der Arbeitskräftemangel eine Optimierung der Personalplanung, um Engpässe zu verhindern und eine hohe Versorgungsqualität sicherzustellen. Hierbei spielen innovative Ansätze wie die Digitalisierung und der Einsatz von KI-basierten Systemen zur Personalplanung, die auch individuellen Bedürfnissen und Erfordernissen Rechnung tragen, eine immer größere Rolle. Ein zentrales Ziel der Digitalisierung ist die Vernetzung der verschiedenen Fachbereiche innerhalb des Krankenhauses sowie die Verbesserung der Kommunikation mit externen Partnern wie Hausärzten, Rehabilitationszentren und anderen Gesundheitseinrichtungen. Dies erfordert neben einer guten IT-Infrastruktur die Bereitschaft, etablierte Arbeitsprozesse anzupassen und bestehenden Strukturen neu zu denken.
Prozesse vom Karriereportal über das Bewerbermanagementsystem, klassisches Onboarding, Anwenderportale, Personalentwicklung und Schulung greifen nahtlos ineinander und unterstützen die klassische Personalarbeit der Vorgesetzten und der Personalabteilung. Sie fördern durch Transparenz und Wissensvernetzung Effizienz und Qualität und sind daher aus dem Ablauf nicht mehr wegzudenken – sie bieten eine große Chance, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu stärken und Potentiale zu heben.
Steuerung neu Denken
Die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Steuerung des Krankenhausbetriebs entwickeln sich kontinuierlich weiter und führen zu komplexen Entscheidungssituationen. Die verschiedenen Vorgaben zur Besetzung von Pflegepersonal auf Station, geregelt durch Pflegepersonaluntergrenzen, Pflegepersonalbemessungsverordnung, Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und Tarifverträge, die eine angemessene Besetzung aufgrund ihrer unterschiedlichen Herangehensweisen, die eine Logik ermittelt einen Monatsdurchschnitt, die andere berechnet schichtgenau, seien hier exemplarisch genannt. Dies gut zu steuern ist für einen Menschen ohne digitale Unterstützung kaum oder nur mit sehr großem Aufwand zu bewältigen. Aufgabe der Organisation ist es daher, Leitungspersonen mit vernetzten Steuerungsinstrumenten und transparenten Zahlen auszustatten, so dass sie ihre Aufgabe angemessen erfüllen können.
Hierzu gehört ganz grundsätzlich eine verlässliche Datenlage auf Basis einheitlich definierter Daten. Dies klingt einfach, stellt sich in der Praxis mit hunderten von IT-Systemen, die historisch gewachsen sind, als besonders herausfordernd dar. Die Bereinigung der Stammdaten der Mitarbeitenden, ein einheitliches Verständnis aller Beteiligter über den Inhalt und die Definition von Stammdaten und dann eine technische Lösung, die den Leitungspersonen die notwendige Transparenz und Unterstützung für die Bewältigung ihrer komplexen Aufgaben zur Verfügung stellt, kann nur in einem iterativen Prozess gelingen. Eine so große Transparenz ist in einer hierarchisch geprägten Organisation neu und benötigt daher gute Anwendungsbeispiele, um auch Skeptiker zu überzeugen.
Wir haben zur Unterstützung der Pflege bei der Personaleinsatz-Steuerung dazu ein Personaldashboard entwickelt. Dies bietet die Möglichkeit, die aktuelle und perspektivische Besetzung auf einen Blick mit den gesetzlichen Anforderungen abzugleichen, Krankenstände zu evaluieren und den Einsatz von Leasingpersonal transparent zu machen. Die Resonanz auf des Dashboard ist extrem positiv, denn hier wird plastisch erlebbar, was möglich ist und wohin die Entwicklung gehen muss. Aufgrund noch nicht vorhandener Digitalisierung aller Vorsysteme sind die Einsatzmöglichkeiten jedoch noch begrenzt. Es bedarf eines digitalen Prozesses, um den Leitungspersonen durchgängig intelligente Instrumente an die Hand zu geben und damit gut steuern zu können. Insbesondere für eine zeitgemäße Dienstplanungsunterstützung, die es ermöglicht den Tag so zu definieren, dass zu jedem Zeitpunkt die richtige Anzahl an Menschen mit der richtigen Kompetenz verfügbar sein müssen. Die Planung der Einsätze dann über eine künstliche Intelligenz vorzubereiten und die Mitarbeitenden selbst umsetzen zu lassen, wird der Schlüssel für eine hohe Zufriedenheit der Mitarbeitenden bei gleichzeitig gutem, effektivem und vor allem patientenorientiertem Personaleinsatz sein.
Management von Krisensituationen
Krankenhäuser sind regelmäßig mit Krisensituationen konfrontiert, seien es Pandemien, Naturkatastrophen oder IT-Ausfälle. Die Leitungspersonen müssen daher in der Lage sein, schnell und angemessen zu reagieren. Ein effektives Krisenmanagement umfasst die frühzeitige Identifikation von Risiken, die Entwicklung von Notfallplänen und die Schulung des Personals im Umgang mit Krisensituationen.
Gleichzeitig bedeutet gutes Management von Krisensituationen auch, dass Führungspersonen in Ihrer Resilienz gestärkt werden; hierfür nutzen wir neben unserem Führungskräfte Curriculum individuelles Mentoring und Coaching und ein am Werte- und Kompetenzmodell ausgerichtetes Bewerbungsverfahren, um auch solche Anforderungen bei der Auswahl zukünftiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicherzustellen. Die Gesundheit der Mitarbeitenden spielt im Hinblick auf die Bewältigung von Krisensituationen eine große Rolle. So haben wir, tariflich verankert, Psychologinnen und Psychologen im Einsatz, die Mitarbeitenden unkompliziert und barrierearm in Krisensituationen zur Seite stehen. Zusätzlich entwickeln wir über verschiedene Projekte, die auch wissenschaftlich begleitet sind, Konzepte, die die Gesunderhaltung der Mitarbeitenden im Krankenhaus stärken und den Fokus auf die eigene Gesundheit lenken.
Geschlechtergerechtigkeit als Aufgabe unserer Leitungspersonen
Geschlechtergerechtigkeit ist ein zentrales Thema in vielen Berufsbereichen, auch im Gesundheitswesen. Im Krankenhaus sind traditionelle Rollenvorstellungen oft noch tief verwurzelt. Beispielsweise werden Pflegeberufe traditionell als „Frauenberufe“ wahrgenommen, während ärztliche Leitungspositionen eher mit Männern assoziiert werden. Solche stereotypen Vorstellungen können dazu führen, dass Frauen seltener für anspruchsvolle Aufgaben oder Führungspositionen berücksichtigt werden oder dass Männer in Pflegeberufen benachteiligt werden. Hinzu kommt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine besondere Herausforderung ist, da der Arbeitsalltag oft von Schichtdiensten, unregelmäßigen Arbeitszeiten und hoher Arbeitsbelastung geprägt ist. Frauen tragen häufig einen größeren Teil der familiären Verantwortung, was ihre berufliche Entwicklung beeinträchtigen kann. Fehlende flexible Arbeitszeitmodelle und Kinderbetreuungsmöglichkeiten erschweren die Rückkehr in den Beruf nach der Elternzeit und begrenzen die Aufstiegsmöglichkeiten.
Obwohl Frauen den größten Teil des Gesundheitspersonals ausmachen, sind sie in Führungspositionen stark unterrepräsentiert. Dies gilt besonders für ärztliche Leitungspositionen und das Krankenhausmanagement. Männer besetzen nach wie vor die meisten Spitzenpositionen, was auf strukturelle Barrieren, stereotype Rollenvorstellungen und fehlende Förderprogramme für Frauen zurückzuführen ist. Diese Ungleichheiten betreffen sowohl die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten als auch die Arbeitsbedingungen und Gehälter.
Leitungspersonen stehen hier vor der Aufgabe, eine Unternehmenskultur zu fördern, die Transparenz fördert, Vergleichbarkeit sicherstellt und frei von Geschlechterstereotypen ist. Stellenbesetzungen müssen aufgrund von nachgewiesener Leistung und Qualifikation erfolgen. Organisationen, die auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen das große Potential der Frauen für die Zukunft erschließen und mit Rollenstereotypen aufräumen. Darüber hinaus müssen gewachsene Ordnungen hinterfragt, der Dialog zwischen den Generationen gefördert und die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit für den Erfolg der Organisation herausgearbeitet werden. Daraus abgeleitet müssen dann Programme für Studierende wie das Ingeborg Rapoport Fellowship, mit dem die Charité jährlich 10 Stipendien für besonders talentierte Medizinerinnen vergibt, geschaffen werden. Das Ingeborg Rapoport Fellowship begleitet und unterstützt herausragende Studentinnen der Humanmedizin und Studierende von Gesundheitsberufen an der Charité. Die Förderung dauert grundsätzlich zwei Jahre. Sie beinhaltet unter anderem die Teilnahme an Workshops und Trainings, einen teilfinanzierten Forschungsaufenthalt an einer internationalen Partneruniversität sowie die Unterstützung zur Antragstellung bei einem Junior Clinician Scientist Programm oder für einen Antrag bei einem öffentlichen Drittmittelgeber.
Gleichzeitig benötigt es Mentorenprogramme, Formate, die Rollenmodelle beleuchten, und die Bereitschaft, die nächste Generation unabhängig vom Geschlecht zu fördern. Diese Kulturelemente zu etablieren ist die Aufgabe der Leitung. Begleitet wird dieser Prozess durch transparente Daten. Kliniken und Institute, die bereits über ausgewogene und dem Verhältnis der Geschlechter repräsentierende Strukturen verfügen, sind eingeladen, ihren Weg zu kommunizieren und Beispiele für Herangehensweisen zu transportieren. Wertschätzung für Erfolg und die jeweiligen Rahmenbedingungen der Generationen sind unabdingbar, um starke Strukturen zu etablieren und gemeinsam Veränderungen zu erzeugen.
3. Schlussfolgerung
Das Verändern gewachsener, hierarchischer Strukturen und alter Rollenmodelle ist eine facettenreiche Aufgabe, denn sie stellt einen Paradigmenwechsel dar. Dieser kann nur gelingen, wenn viele innovative Ideen und Formate durch geeignete Personal- und Organisationsentwicklungskonzepte sowie zielgerichtete Digitalisierung gefördert und begleitet werden. Voraussetzung dazu ist die Bereitschaft, die etablierten Strukturen und Prozesse immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. In einem Beitrag können immer nur einzelne Elemente aufgeführt werden. Die Summe der Maßnahmen, die am Ende zu einer starken Zusammenarbeit und Identifikation in der gesamten Organisation, einer stabilen Sozialstruktur, Anpassungsfähigkeit, Effektivität und klaren Leitungsrollen führt, sind vielfältig. Wenn Leitungspersonen in Krankenhäusern weiter so leidenschaftlich und engagiert die Chancen der Transformation ergreifen und den Umbau weiter vorantreiben, dann werden wir die vielfältigen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen und unsere Organisationen so aufstellen, dass sie hoffentlich auch in 300 Jahren noch sehr gute Patientenversorgung, Forschung und Lehre sicherstellen.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus "Personalmanagement im Krankenhaus", herausgegeben von Prof. Dr. Heinz Naegler und Dr. Marlies Garbsch. Alle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.