Diese Cookie-Richtlinie wurde erstellt und aktualisiert von der Firma CookieFirst.com.

Patientensicherheit als Leitprinzip

Patientensicherheit: Leitprinzip im Krankenhaus der Zukunft

Ruth Hecker

Eine qualitativ hochwertige und sichere Versorgung, das muss das Ziel für die Behandlung im Krankenhaus der Zukunft sein. Jedes Jahr wird eine große Zahl von Patient:innen durch unsichere Gesundheitsversorgung geschädigt oder stirbt daran. In Ländern mit hohem Einkommen erleidet schätzungsweise eine von zehn behandelten Personen während der Krankenhausbehandlung ein sogenanntes „unerwünschtes Ereignis“ (BMG 2021). Bei 20 Millionen Krankenhauspatient:innen im Jahr sind mehr als die Hälfte bis hin zu Dreiviertel der unerwünschten Ereignisse vermeidbar – also 500.000 bis zu 1,5 Millionen, hier haben wir in der Zukunft eine Menge zu tun! „Fehler kosten – Gesundheit, Leben und auch Geld“, so heißt es in dem Beitrag von Dr. Ingo Härtel im Buch „Risiko- und Sicherheitskultur im Gesundheitswesen“: 

„Die OECD-Daten für den stationären Sektor sprechen eine deutliche Sprache: Ungefähr 15 Prozent aller Krankenhausaktivitäten und -ausgaben sind eine direkte Folge unerwünschter Ereignisse.“ (Hecker u. APS 2022, S. 21–29)

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) setzt sich dafür ein, Patientensicherheit als vorrangiges Prinzip im Gesundheitswesen zu etablieren. Dies erfordert, dass die Verantwortung für Patientensicherheit von höchster Führungsebene im Management und in der Politik übernommen wird. Es ist unerlässlich, die Bevölkerung in die Thematik der Patientensicherheit einzubeziehen und gleichzeitig für Transparenz bezüglich der Qualität und Sicherheit im Gesundheitswesen zu sorgen. Auf nationaler Ebene übernimmt das Aktionsbündnis Patientensicherheit eine führende Rolle bei der nachhaltigen Umsetzung des Globalen Aktionsplans Patientensicherheit 2021–2030.


1. Was genau ist Patientensicherheit?

Patientensicherheit ist das aus der Perspektive der Patient:innen bestimmte Maß, in dem handelnde Personen, Berufsgruppen, Teams, Organisationen, Verbände und das Gesundheitssystem

1. einen Zustand aufweisen, in dem unerwünschte Ereignisse selten auftreten, Sicherheitsverhalten gefördert wird und Risiken beherrscht werden,

2. über die Eigenschaft verfügen, Sicherheit als erstrebenswertes Ziel zu erkennen und realistische Optionen zur Verbesserung umzusetzen und

3. in der Lage sind, ihre Innovationskompetenz in den Dienst der Verwirklichung von Sicherheit zu stellen. Patientensicherheit erfordert das komplexe Zusammenspiel aller Akteure im Gesundheitswesen zum Wohle der Patient:innen. Damit dies gelingt, muss die Patientenperspektive ins Zentrum rücken (Schrappe u. APS 2018).

Der Globale Aktionsplan für Patientensicherheit ist eine „Bauzeichnung“ für mehr Sicherheitskulturals wichtige Grundvoraussetzung für mehr Patientensicherheit auch in Deutschland. Für alle Stakeholder im Gesundheitswesen gibt es dort konkrete Aufgaben. Eine Reflexion, mutig und ehrlich, ob unser Gesundheitssystem zu den Anforderungen des 21. Jahrhundert passt, gehört auch dazu.

Ein effektives klinisches Risikomanagement kann nur gelingen, wenn die Führungsebene dies konsequent fordert und alle Beteiligten hierbei unterstützt.

Das Strategische Ziel 3 (von sieben strategischen Zielen) des Globalen Aktionsplans für Patientensicherheit 2021–2030 befasst sich mit der Sicherheit klinischer Prozesse, sprich der Gewährleistung der Sicherheit aller klinischen Prozesse.

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit hat bereits zahlreiche Umsetzungsansätzen erarbeitet, woran es künftig anzuknüpfen gilt (s. Abb. 1). Bestehende Analysen bedürfen zudem stets neuer Überprüfung. Bei der dritten Erhebung zum Stand der Umsetzung des klinischen Risikomanagements (APS et al. 2022) beispielsweise ließ sich ablesen, dass in der Anwendung der Methoden und Instrumente und wie dies unterstützt wird, noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht.

Ein konkretes Beispiel ist das Critical Incident Reporting System (CIRS). Deutsche Kliniken setzen im Durchschnitt 54 Meldungen im Jahr ab. Das Berichten erhöht das Bewusstsein der Mitarbeitenden für Sicherheit und Risiken. Je mehr Berichte es in einer Organisation gibt, desto besser ist die Berichtskultur und damit auch die Sicherheitskultur. Viele Berichte deuten in der Regel darauf hin, dass Mitarbeitende keine Angst haben, beschuldigt zu werden, dass sie verstehen, was mit den Berichten passiert und dass sich durch das Berichten etwas verbessert. Organisationen, in denen relativ wenige Vorfälle berichtet werden, müssen sich fragen, ob sie wirklich ein vollständiges Bild davon bekommen, was vor sich geht und ebenso, ob die geringe Anzahl der Berichte ein Zeichen für eine schwache Sicherheitskultur sein könnte. 

Zusammenfassend lässt sich aus den qualitativen Ergebnissen der KhaSiMiR-21-Krankenhausstudie (APS et al. 2022) entnehmen, dass die Befragten betonten, die Mitarbeit aller an der Versorgung Beteiligten sei ausschlaggebend für die Umsetzung eines effektiven klinischen Risikomanagements.

Die Führungsebene hat eine bedeutende Rolle, da sie eine positive Sicherheitskultur vorlebt und die Strukturen des klinischen Risikomanagements unterstützen muss. Der Mangel an personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen ist unter den bestehenden Finanzierungsbedingungen nur begrenzt zu beheben. Die Mitarbeitenden in der Versorgung und die Verantwortlichen in der Organisation benötigen eine klare Definition des klinischen Risikomanagements und Vorgaben zur Nutzung der entsprechenden Instrumente.

Die Kenntnis von klinischem Risikomanagement muss flächendeckend etabliert werden. Dazu fordern die Befragten Vorgaben externer Stellen und ein strukturierteres Vorgehen innerhalb der Organisation. Schulungen sollen bereits während der Ausbildung stattfinden, um frühzeitig im Berufsleben für das Thema zu sensibilisieren.


2. Der Weg zum patientensicheren Krankenhaus der Zukunft

Die wesentlichen vier Punkte, bei denen konkreter Änderungsbedarf besteht auf dem Weg zum Krankenhaus der Zukunft, sind die folgenden:

1. Verantwortlichkeit für Patientensicherheit auf oberster Führungsebene ansetzen und wirklich übernehmen 

2. Daten zur Messung der Patientensicherheit

3. Umgang mit Fehlern, die Förderung der Sicherheitskultur

4. Einbeziehen der Mitarbeitenden durch die Durchführung von regelmäßigen Sicherheitskulturbefragungen und Forderung von Speak-up 


Verantwortlichkeit für Patientensicherheit auf oberster Führungsebene

Patientensicherheit muss deutlich stärker als Leitprinzip im Gesundheitswesen umgesetzt werden. Das bedeutet: Die Verantwortung für Patientensicherheit im Management der Institutionen und im politischen Selbstverständnis auf kommunaler, landes- und bundespolitischer Ebene zu verankern. Das Einbeziehen der Bevölkerung ist ebenso obligat wie Transparenz über Qualität und Patientensicherheit. Wir müssen als Gesellschaft den Mut haben, diese Fehler offen anzusprechen. Das alles hängt aber maßgeblich von den Entscheidungen der Politik, der Stakeholder, des Vorstands beziehungsweise der Geschäftsführung ab, die die Rahmenbedingungen beeinflussen und die Sicherheitskultur im Unternehmen fördern – oder eben nicht.


Daten zur Messung der Patientensicherheit

Wir wissen nicht, ob wir zum Beispiel 2030 besser oder schlechter sein werden, weil bislang keine Parameter für Patientensicherheit in Zahlen gemessen werden. Lediglich Patientenbefragungen auf Basis von Patient Reported Outcome Measures (PROMS) und Patient Experience Outcome Measures (PREMS) geben Auskunft darüber, was bei den Patient:innen ankommt. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit schlägt daher vor, sogenannte „Never Events“ (verhinderbare beziehungsweise gut vermeidbare unerwünschte Ereignisse, die zu besonders schwerwiegenden Schäden bei Patient:innen führen können) zu messen –insbesondere, da sie eindeutig und identifizierbar sind. Diese Events hat das Aktionsbündnis Patientensicherheit erstmalig für Deutschland definiert (APS 2021). Sie könnten als Indikatoren verwendet werden.

Die Sicherheitskultur steht und fällt mit der Verantwortung der politischen und organisatorischen Führung.

Der bewusste und gezielte Einsatz von Digitalisierung ist insgesamt ein wichtiges Mittel zur Umsetzung der geforderten Ziele für das Krankenhaus der Zukunft. Wertvolle Patientensicherheitsindikatoren können bürokratiearm und in Echtzeit durch die elektronische Patientenakte gewonnen werden.


Umgang mit Fehlern – echte Sicherheitskultur

Der Globale Aktionsplan der WHO macht deutlich, dass die Entwicklung einer Sicherheitskultur von zentraler Bedeutung für alle nachhaltigen Bemühungen zur Verbesserung der Patientensicherheit ist. (Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit 2021). Eine regelmäßige Bewertung der Sicherheitskultur in Organisationen kann das Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeitenden langfristig verbessern und sollte zu den Routinebefragungen gehören. Wenn wir mehr Sicherheitskultur fördern und fordern, wird das, was bei unseren Patient:innen ankommt, besser sein.

Die Sicherheitskultur ist nicht da, wo sie sein müsste. Das zeigen beispielsweise die Ergebnisse einer Befragung der neuen Mitarbeitenden der Universitätsmedizin Essen. Im ersten Halbjahr 2023 wurden neuen Mitarbeitenden (N620) zwei Fragen zur Sicherheitskultur gestellt:

1. Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass Patient:innen in Deutschland durch eine medizinische Behandlung im Krankenhaus zu Schaden kommen?

2. Hat das deutsche Gesundheitswesen eine gute Sicherheitskultur? Laut 62% der Befragten ist es ziemlich bis sehr wahrscheinlich, dass Patient:innen in Deutschland durch eine medizinische Behandlung im Krankenhaus zu Schaden kommen und 70% stimmten nicht oder gar nicht zu, dass das deutsche Gesundheitswesen eine gute Sicherheitskultur habe (s. Abb. 2).

Ein Zeichen für Resilienz ist, dass das Krankenhaus der Zukunft die Mitarbeitenden vor negativen Erfahrungen schützt!

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit hat zum Ziel, dass sich alle Akteure im Gesundheitswesen für die Patientensicherheit stark machen und dass dem Kriterium Patientensicherheit überall ein höherer Stellenwert zukommt. Dafür müssen alle ehrlich miteinander umgehen, wenn es darum geht, Bedingungen oder Fehler anzusprechen und versuchen Lösungen zu erarbeiten. Die Person, die Probleme anspricht, sollte dies frei tun können. Es soll eine Kultur geprägt werden, in der wir bewusst mit Risiken umgehen, umso für mehr Sicherheit für Mitarbeitende und Patient:innen zu sorgen.


Mitarbeitersicherheit ist Patientensicherheit

Im Strategischen Punkt 5 des Globalen Aktionsplans für Patientensicherheit 2021–2030 (BMG 2021, S. 48ff.) werden die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen angesprochen.

Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen stellt eine zunehmende Herausforderung dar, die sich negativ auf die Mitarbeiter- und die Patientensicherheit auswirken kann. Aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal sind Gesundheitseinrichtungen mitunter gezwungen, mit unterbesetzter Belegschaft zu arbeiten, was zu einer erhöhten Belastung der verbleibenden Mitarbeitenden führt. Ermüdung, Stress, höhere Anfälligkeit für Fehler – all das gefährdet die Sicherheit der Patient:innen, aber auch die Sicherheit der Mitarbeitenden. Um dem entgegenzuwirken, sind verstärkte Anstrengungen erforderlich. Bessere Bedingungen können durch die Abflachung der Hierarchien und auch durch das Ernstnehmen der Rückmeldungen der Mitarbeitenden entstehen. Hierzu gehören interprofessionelle und hierarchieübergreifende Kommunikations- und Teamtrainings. Diese werden bedauerlicherweise nicht gegenfinanziert und in den Kliniken selten angeboten.

Die Resilienz im Gesundheitswesen ist demnach von entscheidender Bedeutung, um die Patientensicherheit und die Sicherheit der Mitarbeitenden zu gewährleisten. Gesundheitspersonal steht häufig unter hohem Druck und arbeitet unter großen Belastungen. Die sogenannten „Second Victims“ sind Mitarbeitende, die durch unerwartet unterlaufene Fehler oder negative Ereignisse emotional betroffen sind. Resilienz im Gesundheitswesen beinhaltet daher auch die Unterstützung von Mitarbeitenden und die Förderung eines unterstützenden Umfelds, um ihre psychische und physische Gesundheit zu schützen und ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Zur Unterstützung der Mitarbeitenden nutzt die Universitätsmedizin Essen beispielsweise den sogenannten PsySafety-Check nach Fischer und Hüttermann (2020). Dieser misst per Fragebogen in Teams das Konstrukt psychologischer Sicherheit. Er erfasst die geteilte Wahrnehmung der Mitglieder eines Teams, zwischenmenschliche Risiken eingehen oderabweichende Meinungen vertreten zu können, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. „Psychologische Sicherheit ist ein wichtiger Prädiktor für Lernen im Team sowie Verbundenheit mit dem Team und Team-Leistung“, so die Beschreibung dieses Messinstruments. Zur Bewältigung ihrer wichtigen Aufgaben benötigen die stationären Einrichtungen Ressourcen. Die Ressourcen und Rahmenbedingungen, mit denen die vielfältigen Aufgaben in den Einrichtungen zu erledigen sind, müssen von der Politik berücksichtigt und geschaffen werden.

Das Krankenhaus der Zukunft 2040

Im Krankenhaus der Zukunft kommen Patient:innen durch vermeidbare Prozess‑, Diagnose- oder Therapiefehler nicht mehr zu Schaden. Patientensicherheit ist ein Entscheidungskriterium und ist höher gewichtet als ökonomische Kriterien. Mitarbeiter können offen Fehler zugeben und die Risiken in der Patientenversorgung werden regelmäßig evaluiert.

Psychosoziale Unterstützung für Second Victims, so lautet zudem eine aktuelle gemeinsame Forderung der Patientensicherheitsorganisationen in Deutschland (Aktionsbündnis Patientensicherheit), Österreich und der Schweiz.


Dieser Beitrag ist ein Auszug aus "Das Krankenhaus der Zukunft", herausgegeben von Dr. rer. pol. Gerald Gaß, Prof. Dr. Henriette Neumeyer und Ingo MorellAlle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.


AKTUELLES