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Psychische Wirkungen von Cannabis

1 Psychische Wirkungen von Cannabis und cannabisbasierten Medikamenten

Müller-Vahl

1.1 Freizeitkonsum versus medizinischer Gebrauch

Cannabis und andere cannabisbasierte Medikamente haben vielfältige psychische Wirkungen. Zwar bestehen durchaus Überlappungen im Hinblick auf die psychischen Effekte im Rahmen des Freizeitgebrauchs von Cannabis einerseits und der medizinischen Nutzung andererseits. Die Bewertung dieser Effekte fällt jedoch meist grundlegend unterschiedlich aus in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Intention. So möchten Freizeitkonsumierende in der Regel neben einem Gefühl der Entspannung oft auch einen gewissen euphorisierenden Effekt (sogenanntes „High-Gefühl“) erzielen. Zudem wird Cannabis gerade von jungen Menschen mehrheitlich in der Peergroup konsumiert und trägt somit zur Geselligkeit bei.

Insofern erfüllt Cannabis als Freizeitkonsumdroge ähnliche Funktionen wie der Genuss von Alkohol. Patient:innen hingegen wünschen sich primär – wenn nicht ausschließlich – eine Linderung spezifischer Krankheitssymptome. Alle weiteren Effekte werden als „unerwünscht“, d.h., als Nebenwirkungen eingestuft, die je nach Art und Stärke zu einem Abbruch der Behandlung führen können. Selbstverständlich können die von Freizeitkonsumierenden gewünschten Effekte – je nach Indikation – durchaus auch von Patient:innen gesucht werden, stehen aber mehrheitlich nicht im Vordergrund. Dies wiederum führt zu einem deutlich unterschiedlichen Einnahmeverhalten von Freizeitkonsumierenden einerseits und Patient:innen andererseits.

Deutlich wird dies auch in der Einnahmeart: So nutzen viele Patient:innen die orale Aufnahme von cannabisbasierten Medikamenten. Hingegen gibt es für die oralen cannabisbasierten Medikamente wie Dronabinol, Nabilon und Cannabisextrakte wie Nabiximols weltweit keinen nennenswerten Schwarzmarkt. Als Grund können – neben dem Preis – die deutlich geringeren bzw. oft fehlenden euphorisierenden oder nur deutlich verzögert eintretenden Effekte nach oraler Einnahme üblicher Dosierungen angenommen werden. Theoretisch können allerdings durch eine orale Aufnahme – wegen der erst verzögert eintretenden psychischen Effekte – insgesamt viel größere Mengen THC eingenommen werden als per Inhalation und dadurch auch stärkere und länger anhaltende Rauschzustände erzielt werden. Wegen der vielfältigen Wirkungen der cannabisbasierten Medikamente fällt selbst bei der medizinischen Anwendung die Bewertung der Effekte oft unterschiedlich aus. So sind etwa bei depressiven Patient:innen euphorisierende und bei Patient:in-nen mit Schlafstörungen sedierende Wirkungen klinisch erwünscht (analog den Effekten von etablierten Antidepressiva oder Sedativa), während derartige Effekte von anderen Patient:innen als unerwünschte Nebenwirkungen eingestuft werden können.

Noch wieder anders fällt die Bewertung der Wirkungen cannabisbasierter Medikamente im Rahmen einer palliativmedizinischen Anwendung oder in der Gerontopsychiatrie aus. Hier können auch stärkere sedierende oder anxiolytische Effekte erwünscht sein etwa bei stark agitierten, unruhigen oder fremdaggressiven Patient:innen. Aus den vorgenannten Gründen sollten daher die psychischen Effekte im Rahmen einer ärztlich überwachten medizinischen Nutzung von cannabisbasierten Medikamenten nicht unkritisch und vorschnell mit den aus dem Freizeitkonsum bekannten Effekten gleichgesetzt werden. Selbstverständlich ist es aber für das grundsätzliche Verständnis durchaus hilfreich, die typischen, im Zusammenhang mit dem Freizeitkonsum auftretenden psychischen Effekte von Cannabis zu kennen. Theoretisch können auch im Rahmen einer medizinischen Anwendung all jene psychischen Wirkungen auftreten, die aus dem Freizeitkonsum bekannt sind. Grundsätzlich sollte dabei zwischen akuten und chronischen Effekten unterschieden werden. 

Freizeitkonsumverhalten und die medizinische Nutzung von cannabisbasierten Medikamenten unterscheiden sich in vielfältiger Weise. Daraus resultiert ein deutlich unterschiedlich häufiges und starkes Auftreten von psychischen Wirkungen, auch wenn sich diese in der Art nicht grundlegend unterscheiden.

1.2 Akute psychische Effekte

1.2.1 Effekte bei gesunden Freizeitkonsumierenden

Im jüngsten Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 werden für Cannabis folgende akute psychische Effekte zusammenfassend beschrieben (Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2019):

„Cannabis kann auf psychischer Ebene unterschiedlich wirken. Es kann Glücksgefühle auslösen, die Stimmung aufhellen oder auch entspannen und beruhigen. Unmittelbar nach dem inhalativen Cannabiskonsum kann es aber auch zu negativen Effekten kommen, beispielsweise zu Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung, der Aufmerksamkeit und der Psychomotorik. Das Reaktionsvermögen kann eingeschränkt sein, zum Beispiel beim Autofahren.“

In Zusammenhang mit dem Freizeitgebrauch ist bekannt, dass Cannabis zu einer Verstärkung der vorbestehenden Stimmung führen kann. So können positive wie negative Gefühle intensiviert werden. Die akut auftretenden psychischen Effekte werden von zahlreichen weiteren Faktoren mit beeinflusst wie der Dosis und der Art der Einnahme, aber auch Umgebungsfaktoren und der Einnahme weiterer Drogen (Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2018). 

1.2.2 Effekte im Ramen der medizinischen Nutzung

Auch wenn grundsätzlich all diese, bei gesunden Freizeitkonsumierenden zu beobachtenden akuten psychischen Wirkungen auch in Zusammenhang mit einer medizinischen Anwendung cannabisbasierter Medikamente auftreten können, so bestehen dennoch zahlreiche erhebliche Unterschiede:

  • Während Freizeitkonsumierende oft eine „berauschende“ Wirkung („High-Gefühl“) durch die Einnahme von Cannabis herbeiführen wollen, trifft dies auf Patient:innen in aller Regel nicht zu. Patient:innen wünschen die Verminderung spezieller Symptome (etwa Schmerzen oder Spastik), ohne dass gleichzeitig andere (unerwünschte) Wirkungen auftreten. Die Cannabis-Patient:innen nehmen die von Freizeitkonsumierenden gewünschten Effekte zumeist als Nebenwirkungen wahr und werden bei wiederholtem oder anhaltendem Auftreten derartiger Wirkungen die Dosis reduzieren oder die Behandlung vollständig abbrechen. Allerdings können sedierende und euphorisierende Effekte in bestimmten Indikationen wie der Palliativmedizin oder Geriatrie durchaus gewünscht sein.
  • Freizeitkonsumierende nehmen Cannabis mehrheitlich durch Rauchen ein, was zu rasch anflutenden, starken, meist aber nur kurz anhaltenden Effekten führt. Bei der medizinischen Anwendung hängt die Einnahmeart von verschiedenen Faktoren ab. Wegen des schnellen Wirkeintritts kann die inhalative Behandlung in aller Regel besser gesteuert werden als eine orale Einnahme. Allerdings ist die Wirkdauer bei oraler Anwendung länger. Theoretisch ist auch eine Kombination beider Applikationsarten möglich. Da die bisher verfügbaren Inhalatoren nach wie vor nicht geruchsneutral sind, vermeiden manche Patient:innen aus Sorge vor sozialen Repressalien den Gebrauch„ dieser Geräte in der Öffentlichkeit. 
  • Praktisch alle Effekte von Cannabinoiden, besonders aber die akuten psychischen Wirkungen, unterliegen einer Gewöhnung. Daher gilt in der Behandlung mit cannabisbasierten Medikamenten der Grundsatz „start low, go slow“. Eine langsame Eindosierung der Medikamente führt häufig zu einer deutlichen Verbesserung der Verträglichkeit mit geringen oder überhaupt keinen Nebenwirkungen. Genau dieses Vorgehen aber vermeiden Freizeitkonsumierende, um eben gerade starke „akute psychische Wirkungen“ zu erzielen.

Wie im Kapitel IV.1 ausführlich dargestellt, wird für zahlreiche Erkrankungen, bei denen Cannabinoide zu einer Symptomverbesserung führen, derzeit spekuliert, dass zumindest manchen dieser Erkrankungen möglicherweise eine Störung im Endocannabinoid-System (ECS) zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff „Endocannabinoid deficiency syndrome“ (zu Deutsch: Endocannabinoid-Mangel-Syndrom) geprägt (Russo, 2016). Vorgeschlagen wurde dies für so unterschiedliche Erkrankungen wie Migräne, Fibromyalgie, Reizdarm, die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und das Tourette-Syndrom. Folgt man der Annahme, dass diesen Erkrankungen eine Dysfunktion im ECS zugrunde liegt, so leitet sich daraus nicht nur plausibel die Tatsache ab, dass cannabisbasierte Medikamente sinnvoll zur Behandlung dieser Erkrankungen eingesetzt werden können (indem sie einen bestehenden Mangel teilweise oder vollständig kompensieren), sondern auch die Vermutung, dass ganz andere unerwünschte Wirkungen auftreten als dies von gesunden Freizeitkonsumierenden bekannt ist.

In einer 2018 veröffentlichten Übersichtsarbeit (Mac Callum u. Russo 2018) werden folgende Häufigkeiten akuter psychischer Nebenwirkungen von cannabisbasierten Medikamenten angegeben:

  • häufig: Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel, Angst, kognitive Beeinträchtigungen
  • gelegentlich: Euphorie 
  • selten: Psychose, Wahnvorstellungen, Depression, Desorientiertheit

Auch wenn theoretisch im Rahmen einer medizinischen Anwendung Mehrzahl dieser Effekte im Rahmen einer sachgerechten, kontrollierten Behandlung kaum je eine Rolle. Am häufigsten kommt es auch bei einer langsam einschleichenden Dosierung zu Symptomen wie Müdigkeit, Schwindel, Benommenheit gefolgt von kognitiven Beeinträchtigungen wie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen. Akute psychotische Symptome mit Halluzinationen und Wahnerleben sind hingegen sehr selten. Bei besonderer Empfindlichkeit (etwa bei älteren und multi-morbiden Patient:innen, bei Kindern und bei Polypharmazie) ist mit einem stärkeren Auftreten akuter psychischer Wirkungen zu rechnen.

1.3 Chronische Psychische Effekte

1.3.1 Effekte bei gesunden Freizeitkonsumierenden

Kognitive Defizite

Bei der Diskussion um chronische psychische Effekte bei gesunden Freizeitkonsumierenden geht es praktisch ausschließlich um Wirkungen infolge eines langdauernden Cannabiskonsums mit hohen Dosierungen. Abgesehen von den schädlichen Wirkungen des Rauchens können die (psychischen) Langzeiteffekte von Cannabis bei gelegentlichem und geringem Cannabiskonsum vernachlässigt werden. Auch das Abhängigkeitsrisiko ist bei diesen Personen gering und liegt deutlich unter dem von Alkohol und ist auch geringer als das von Nikotin. Wie bei anderen (legalen und illegalen) Drogen spielen hinsichtlich der Frage des Abhängigkeitsrisikos zahlreiche Faktoren eine Rolle wie Einstiegsalter, Dosis und Dauer (s. Kap. VII.6).

Gerade bei jungen Erwachsenen wurde in Zusammenhang mit einem regelmäßigen (täglichen), hohen Cannabiskonsum immer wieder über Leistungsprobleme, Teilnahmslosigkeit und Aktivitätsverlust berichtet. Allerdings ist es im Einzelfall oft schwierig festzustellen, ob derartige Symptome Folge des Cannabiskonsums sind oder eine Kompensationsstrategie darstellen, um bereits zuvor bestehende Probleme oder sogar Symptome einer psychischen Erkrankung zu mindern. Zudem werden von Personen mit regelmäßigem, hohem Cannabiskonsum häufig auch andere legale und illegale Drogen eingenommen, was die Bewertung von Kausalzusammenhängen weiter erschwert. Kontrovers wird nach wie vor die Frage diskutiert, ob, in welchem Ausmaß, wann und wie häufig ein regelmäßiger und hoher Cannabiskonsum die kognitive Leistungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigten kann.

In erster Linie werden dem Konsum von Cannabis bleibende Störungen des Gedächtnisses zugeschrieben mit Beeinträchtigungen von Lernen, Erinnerung, Aufmerksamkeit, Problemlösefähigkeit und Denkleistung. Neuere Studien deuten demgegenüber darauf hin, dass sämtliche kognitiven Defizite nach einer Abstinenzphase vollständig reversibel sind. Während zunächst angenommen wurde, dass dies nur auf Erwachsene, nicht aber auf Jugendliche zutreffe, kamen die Autor:innen einer Metaanalyse zu dem Ergebnis, dass selbst bei jungem Einstiegsalter nach Absetzen keine bleibenden kognitiven Effekte zu beobachten sind (Scott et al. 2018). Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Konsum von Cannabis zu einer Minderung der Intelligenz führt. Auch gibt es keine Hinweise darauf, dass die Einnahme durch Inhalation mit ungünstigeren psychischen Langzeiteffekten vergesellschaftet ist als eine orale Einnahme. 

Psychose

Es ist unstrittig, dass der Konsum von Cannabis zu psychotischen Symptomen mit Halluzinationen und wahnhaftem Erleben führen kann. Treten derartige Symptome im Sinne einer akuten Wirkung auf, so ist definitionsgemäß davon auszugehen, dass eine Abstinenz zu einer vollständigen Remission führt. Viel schwieriger ist hingegen die Bewertung der Frage, inwieweit der Konsum von Cannabis das Eintreten einer schizophrenen Psychose begünstigen kann, d.h., das Auftreten einer chronischen, schwerwiegenden, psychischen Erkrankung, die auch nach Einstellendes Cannabiskonsums nicht vollständig remittiert. Ohne Zweifel wurde in der Vergangenheit oft vorschnell die Diagnose einer „cannabisinduzierten Psychose“ gestellt, indem aus einer zeitlichen Koinzidenz mehr oder weniger automatisch ein kausaler Zusammenhang konstruiert wurde. In methodisch hochwertigen Studien konnte gezeigt werden, dass das Risiko für das Eintreten einer Psychose nach dem Konsum von Cannabis im Wesentlichen von drei Faktoren bestimmt wird (Di Forti et al. 2015):

  • Das Risiko für das Eintreten einer Psychose hängt maßgeblich vom Gehalt des Cannabis an Tetrahydrocannabinol (THC) ab und ist bei Blütensorten mit extrem hohem THC-Gehalt von ca. 24% (sogenanntem „skunk cannabis“) etwa um das 3-Fache erhöht. 
  • Das Risiko wächst mit der Häufigkeit des Gebrauchs und ist bei täglichem Konsum etwa auf das 3-Fache erhöht. 
  • Das Risiko ist besonders für Jugendliche erhöht, die bereits vor dem 15. Lebensjahr begonnen haben, Cannabis zu konsumieren.

Bei der Bewertung dieser Ergebnisse sollte allerdings bedacht werden, dass Cannabis mit hohem THC-Gehalt vermutlich nicht „per se“ zu einem erhöhten Psychoserisiko führt, sondern dass es – auch wegen des Einflusses der Einnahmehäufigkeit– vermutlich vielmehr auf die eingenommene THC-Gesamtmenge ankommt. Diese ist bei Freizeitkonsumierenden mutmaßlich höher, wenn THC-reiche Blütensortenkonsumiert werden. Hingegen führt die Einnahme von THC-reichen Sorten im medizinischen Kontext nicht selten zu einer Reduktion der Dosis, sodass die eingenommene THC-Gesamtmenge im Vergleich zur Einnahme einer größeren Menge einer Blüte mit mittlerem THC-Gehalt unverändert bleibt. Zudem wird spekuliert, dass der Konsum von sehr THC-reichen Cannabissorten auch deswegen zu einem erhöhten Psychoserisiko führen könnte, weil diese Blütensortenmeist nur einen geringen Anteil an Cannabidiol (CBD) enthalten und CBD wiederum antipsychotische Effekte zugeschrieben werden. 

Amotivationales Syndrom

In der Vergangenheit wurde besonders nach langjährigem, häufigem Cannabiskonsum als mögliche weitere Langzeitnebenwirkung das Eintreten eines sogenannten Amotivationalen Syndroms beschrieben. Mit diesem Syndrom wurden Symptome wie Lethargie, Passivität, verflachter Affekt und mangelndes Interesse assoziiert. Bis heute gibt es allerdings überhaupt keinen schlüssigen Nachweis für das Bestehen eines solchen Syndroms. Selbst wenn man seine Existenz annähme, so fehlen jegliche Hinweise darauf, dass es sich um eine Störung handelt, die speziell infolge des Konsums von Cannabis eintritt. Viel wahrscheinlicher ist aus heutiger Sicht, dass es sich bei mit diesem Begriff beschriebenen Zuständen entweder um chronische Intoxikationszustände handelt oder aber um Personen mit Defektzuständen einer Schizophrenie, Depression oder schwerer Persönlichkeitsstörung. Dies ist umso plausibler, da die dem Amotivationalen Syndrom zugeschriebenen Symptome den Negativsymptomen einer Schizophrenie bzw. denen einer Anhedonie im Rahmen einer Depression stark ähneln. In Studien, in denen jugendliche und erwachsene Konsumierende mit häufigem Cannabiskonsum (>3x/Woche) speziell im Hinblick auf Symptome untersucht werden, die dem sogenannten Amotivationellen Syndrom zugerechnet werden, fanden sich keine Hinweise auf ein häufigeres Auftreten von Apathie oder mit Anstrengung verbundener Entscheidungsfindung für Belohnungen, Belohnungswünschen oder Belohnungsvorlieben. Cannabiskonsumierende zeigten sogar eine höhere Motivation für Anstrengung als Kontrollpersonen (Vele et al. 2022; Skumlien et al. 2023). 

1.3.2 Effekte im Rahmen der medizinischen Nutzung

Sehr wenig ist bisher bekannt zu psychischen Langzeiteffekten im Rahmen der medizinischen Anwendung von Cannabis und cannabisbasierten Medikamenten, da entsprechende Langzeitstudien weitgehend fehlen. Basierend auf den bisherigen klinischen Erfahrungen und den Erkenntnissen zum Freizeitkonsum darf aber stark bezweifelt werden, dass das Risiko deutlich erhöht ist. Erschwert wird die Beurteilung durch die Tatsache, dass auch das Bestehen einer chronischen Erkrankung sekundär zu psychischen Folgen führen kann. Es ist davon auszugehen, dass Patient:innen dazu tendieren, Behandlungen und so auch eine Therapie mit Cannabis und cannabisbasierten Medikamenten abzubrechen, wenn denn schwerwiegende Nebenwirkungen wie etwa eine klinisch relevante kognitive Beeinträchtigung auftreten. Es kann vermutet werden, dass, wenn selbst ein langjähriger, hoher Cannabiskonsum nicht zu bleibenden kognitiven Defiziten führt, dies auch nicht im Rahmen einer kontrollierten Behandlung eintritt. Auch das Psychoserisiko ist vermutlich gering, da – von speziellen Indikationen abgesehen (s. Kap. VII.1) – der Behandlungsbeginn im Erwachsenenalter liegt und die Dosis ärztlich überwacht wird. So zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass Patient:innen, die über Jahre eine (illegale) Selbsttherapie mit Cannabis ohne ärztliche Überwachung durchgeführt haben, meist höhere Dosierungen einnehmen als Patient:innen, die von Beginn an ärztlich begleitet werden. 

1.4 Unterschiedliche Wirkungen verschiedener cannabisbasierter Medikamente

Nur sehr wenige Daten liegen zu der Frage vor, ob verschiedene cannabisbasierte Medikamente zu unterschiedlichen (akuten und chronischen) psychischen Effekten führen. Aus den bisherigen Studien ergeben sich keine Hinweise für die Annahme, dass Behandlungen mit THC, Cannabisextrakten und Cannabisblüten zu unterschiedlichen (psychischen) Langzeiteffekten führen. Ob die in Zusammenhang mit dem Freizeitkonsum beschriebenen Befunde auch auf den medizinischen Einsatz übertragbar sind, bleibt abzuwarten. Aktuell finden sich keine Hinweise darauf, dass eine Behandlung mit Dronabinol (also reinem THC) das Eintreten einer Psychose begünstigt im Vergleich zu einer Behandlung mit einem Cannabisextrakt oder Cannabisblüten mit zusätzlichem Gehalt an CBD. Auch wurde bisher nicht bekannt, dass eine Behandlung mit THC-reichen Cannabissorten im Vergleich zum Gebrauch von Sorten mit geringem oder mittlerem THC-Gehalt häufiger eine Psychose induziert. Neben der vermuteten antipsychotischen Wirkung von CBD spräche auch das Konzept des „Entourage-Effekts“, d.h. der Hypothese eines Synergie-Effekts durch die Kombination von THC mit CBD aber auch anderen Cannabinoiden und weiteren Substanzen (wie Palmitoylethanolamid (PEA) und Terpenen) (s. auch Kap. III.3), für eine bevorzugte Nutzung von Cannabisextrakten und -blüten im Vergleich zu reinem THC. Klinische Belege für diese Vermutungen fehlen bisher allerdings. Die Tatsache, dass sogenanntes „skunk cannabis“ mit extrem hohem THC-Gehalt das Psychoserisiko möglicherweise erhöht (Di Forti et al. 2015), sollte Anlass gebe zu prüfen, ob sich auch cannabisbasierte Medikamente in Abhängigkeit vom THC-Gehalt hinsichtlich des Psychoserisikos unterscheiden. Wie oben bereits ausgeführt, könnte dieser scheinbare Zusammenhang aber auch auf die eingenommene THC-Gesamtmenge zurückzuführen sein. Anhand der aktuellen Datenbasis können all diese Fragen für den medizinischen Gebrauch noch nicht abschließend beantwortet werden.

Wirkung von reinem Cannabidiol (CBD)

Alle bisherigen Ausführungen zu psychischen Effekten cannabisbasierter Medikamente beziehen sich auf Substanzen mit relevantem THC-Anteil. Gesondert zu betrachten sind die psychischen Wirkungen von reinem CBD bzw. CBD-Extrakten. Wie in Kapitel III.3 beschrieben, kann die Einnahme von CBD zu akuten psychischen Effekten mit Schläfrigkeit, Sedierung, Lethargie und Schlafstörungen führen, selten auch zu Suizidgedanken und -handlungen, Unruhe, Depression, Aggressionen und Panikattacken. Auch wurde über paradoxe Effekte mit vermehrter Wachheit berichtet. CBD führt hingegen nicht zum Auftreten von Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Ganz im Gegenteil: CBD werden antipsychotische Wirkungen zugeschrieben. Auch ist bisher nicht bekannt geworden, dass CBD zu kognitiven Defiziten oder sonstigen psychischen Langzeitfolgen führt. Aus der Tatsache, dass CBD in Deutschland überhaupt erst seit 2016 verschreibungspflichtig ist – und zuvor als freiverkäufliches Nahrungsergänzungsmittel eingestuft worden war – ergibt sich, dass bisher keine negativen Langzeiteffekte bekanntgeworden sind. Da CBD erst seit wenigen Jahren überhaupt als Arzneimittel eingesetzt wird, fehlen naturgemäß entsprechende Langzeitstudien. Aktuell wird CBD von vielen Menschen und Patient:innen aus ganz unterschiedlichen Indikationen eingenommen, sodass in naher Zukunft mit verlässlicheren Daten zu rechnen ist.

CBD  ist ein gut verträgliches Medikament, das zu akuten psychischen Effekten – insbesondere Müdigkeit – führen kann. Psychische Langzeitwirkungen sind hingegen bis heute nicht bekannt.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus "Cannabis und Cannabinoide", herausgegeben von Kirsten R. Müller-Vahl und Franjo GrotenhermenAlle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.


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