Risiken im deutschen Gesundheitssystem
Guntram Fischer
Da das deutsche Sozialversicherungssystem und damit auch das System der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Bismarck-Modell durch Zwangsabgaben der im Arbeitsprozess befindlichen Bevölkerung und unabhängig vom individuellen Erkrankungsrisiko gekennzeichnet ist, gibt es mehrere Einflussfaktoren, die für die Stabilität des Systems entscheidend sind.
1. Demografie (Babyboomer, Pillenknick)
Je älter die Bevölkerung wird, desto mehr kommt es zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, die mit Kosten verbunden sind. Durch die Berentungswelle der Babyboomer-Generation wird es aufseiten der Inanspruchnehmenden eine Steigerung bei gleichzeitiger Abnahme der Beitragssumme geben.
2. Finanzierung
Sozialversicherungsbeiträge werden prozentual vom Einkommen berechnet. Da Rentner durchschnittlich geringere Einkommen haben als Erwerbstätige, sinkt mit einem höheren Anteil der berenteten Bevölkerung auch die Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversicherung. In der Gesundheitsforschung werden mehrere Thesen zur Auswirkung der Alterung auf die Gesundheitsausgaben formuliert, so z.B. die Kompressionsthese, die Sterbekostenthese und die Medikalisierungsthese. Was sich in jedem Fall sagen lässt: Die Pro-Kopf-Krankheitskosten (s. Tab.) nehmen mit fortschreitendem Alter deutlich zu.
Damit entstanden im Jahr 2020 gut die Hälfte der gesamten Krankheitskosten (51,4 Prozent) bei rund einem Fünftel der Bevölkerung: Den 65-Jährigen und Älteren.
3. Konjunkturabhängigkeit der Sozialversicherungsbeiträge
Bei Vollbeschäftigung (bzw. einer niedrigen Arbeitslosenquote) werden höhere Beiträge für das Sozialversicherungssystem generiert, als dies in Phasen wirtschaftlicher Flauten mit zunehmender Arbeitslosenzahl der Fall ist. Auch die Aufteilung im Arbeitsmarkt nach sozialversicherungsfreien oder sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen spielt eine Rolle.
4. Sektorale Strukturen: Allokation der zur Verfügung stehenden Mittel
Das deutsche Gesundheitssystem ist durch starke Sektorengrenzen geprägt. Einerseits sind sowohl die Organisations- wie auch die Finanzierungsstrukturen der Sektoren extrem unterschiedlich und andererseits gibt es durch mächtige Lobbygruppen ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen der Akteure am Status quo.
Die grundsätzliche Schwierigkeit, eine sektorübergreifende Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, liegt in den unterschiedlichen Organisations- und Finanzierungsstrukturen begründet.
Es kann auch davon ausgegangen werden, dass durch den ungesteuerten Zugang der Patienten zu den medizinischen Versorgungssystemen und die mangelhafte Digitalisierung im Gesundheitswesen unnötige Kosten zu Lasten der Solidargemeinschaft der Versicherten entstehen.
5. Vernetzte Strukturen: Auswirkungen von Veränderungen
Trotz der sektoralen Gliederung ist das deutsche Gesundheitssystem als eine vernetzte Struktur zu betrachten. Veränderungen in einem Sektor (z.B. Krankenhausschließungen) wirken sich in anderen aus, wie in der ambulanten Versorgung durch niedergelassene Praxen und auch in der verstärkten Inanspruchnahme von Rettungsdienst und Krankentransport. Ebenso entfallen durch Krankenhausschließungen Ausbildungsmöglichkeiten im medizinischen (Ärzte) und Pflegebereich (Gesundheits- und Krankenpfleger), was mittelfristig eine Nachbesetzungsproblematik im ländlichen-niedergelassenen Bereich verschärfen kann.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus "Das deutsche Gesundheitswesen kompakt 2024", herausgegeben von Dr. Guntram Fischer. Alle Informationen zum Titel erhalten Sie hier.