3 Fragen an...
Dr. Jens Baas ist seit 2012 Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK). Vor seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender war er bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group tätig, zuletzt als Partner und Geschäftsführer. Sein Studium der Humanmedizin absolvierte Jens Baas an der Universität Heidelbergund der University of Minnesota (USA). Er arbeitete anschließend als Arzt in den chirurgischen Universitätskliniken Heidelberg und Münster.
1. Warum ist das Thema Plattformökonomie in Bezug auf das Gesundheitswesen gerade so aktuell?
Die Digitalisierung ist im Leben der meisten Menschen angekommen. In den letzten Jahren haben wir gesehen, wie Plattformanbieter im Business-to-Customer-Bereich beim Handel mit Waren und bei einigen Dienstleistungen wie Mobilität und Reisen die jeweiligen Branchen komplett umkrempeln. Letztendlich haben sie damit auch den Alltag vieler Menschen verändert. Diese Entwicklung übt nun aus zwei Richtungen Druck auf unser Gesundheitssystem aus.
Auf der einen Seite steigt die Erwartungshaltung der Versicherten, weil sie sehen, was zum Beispiel im E-Commerce in Sachen Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen, Benutzerfreundlichkeit und Bequemlichkeit möglich ist. Sie sind es in diesen Bereichen mittlerweile gewohnt, online Termine zu vereinbaren und Waren nur wenige Stunden nach der Bestellung zu erhalten. Zu Recht fangen sie an, die gleichen Erwartungen an die Akteure im Gesundheitswesen zu stellen.
Auf der anderen Seite investieren die großen Tech-Unternehmen in den USA oder China seit einigen Jahren bereits Milliardensummen in den Gesundheitsbereich. Der Markt ist zwar sowohl in Deutschland als auch international sehr fragmentiert und reguliert, aber er ist auch besonders lukrativ.
Wir sehen also ein steigendes Problembewusstsein bei den Versicherten und die Bereitschaft Lösungen dafür anzubieten bei den Tech-Unternehmen. Da wir in Deutschland ein sehr gutes Gesundheitssystem haben, war der Druck für Veränderungen von innen heraus nicht besonders groß, weshalb die Digitalisierung des Gesundheitswesens, vorsichtig ausgedrückt, komplett verschlafen wurde. Die Coronapandemie hat uns auf einmal eine Diskrepanz vor Augen geführt. Ist unser System tatsächlich so gut, wenn Daten noch per Fax verschickt werden? Wenn dadurch Meldewege in einer Pandemie lange dauern und fehleranfällig werden? Warum wir viele Daten einfach nicht haben? Warum muss ich mich mit einer leichten Erkältung zum Arzt schleppen, im Anschluss in die Apotheke und dannnoch zur Post, um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzuschicken?
Dabei ist heute schon vieles digital. Es gibt für jeden Leistungserbringer, ob Praxis, Krankenhaus, Apotheke oder Labor, mehrere Softwarelösungen. Nur sind diese zum einen untereinander nicht vernetzt und zum anderen lassen sie meist außen vor, um wen es eigentlich geht: Den Patienten oder die Patientin.
In Zukunft werden wir meiner Ansicht nach einen oder vielleicht eine Handvoll Anbieter im Gesundheitswesen haben, die genau das machen. Den Versicherten in den Mittelpunkt stellen und ihm eine Plattform anbieten, auf der er seine Daten speichern, verwalten und teilen kann.
Die Frage ist, ob wir diese Entwicklung einfach frei laufen lassen und am Ende internationale Tech-Unternehmen solche Plattformen anbieten, oder ob wir die Digitalisierung steuern und nach unseren Wünschen gestalten wollen.
2. Welche Vorteile bietet der Aufbau einer solchen Plattform? Welche Rolle spielen Krankenkassen dabei?
Plattformen können Daten zentral zur Verfügung stellen und ermöglichen es verschiedenen Anbietern darauf zuzugreifen. Übertragen auf das Gesundheitssystem bedeutet es, dass die Gesundheitsdaten durch die Versicherten zentral gespeichert werden und die Akteure des Gesundheitswesens miteinander vernetzt werden. Leistungserbringer – wie medizinisches Personal, Apotheken, Klinken – und Unternehmen können gegebenenfalls ebenso Daten einbringen, aber auch auf diese zugreifen. Die Vorteile, alle Gesundheitsdaten an einem zentralen Ort zu haben, liegen auf der Hand. Wichtige Informationen können nicht so leicht verloren gehen, Doppeluntersuchen werden vermieden, Ärzte müssen nicht länger Befunden hinterher telefonieren und die verordneten Medikamente lassen sich ebenso schnell auflisten. Zusätzlich können die Plattformen den Versicherten anhand der Daten maßgeschneiderte Angebote für Behandlungen oder Präventionsmaßnahmen anbieten.
Im Kern der Idee sind diese Punkte bereits wesentliche Merkmale der elektronischen Patientenakte (ePA), die jede Krankenkasse ihren Versicherten mittlerweile anbieten muss. Sie ist im Grunde ein zentraler digitaler Datenspeicher unter vollständiger Kontrolle des Versicherten. Den Krankenkassen kommt bei der Digitalisierung somit eine zentrale Rolle zu. Die ePA bringt die besten Voraussetzungen mit, zu einer zentralen Schnittstelle zwischen Versicherten, Krankenkassen und Leistungserbringern ausgebaut zu werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass hinter der ePA keine wirtschaftlichen Interessen stehen und sie einem strengen Datenschutz unter deutscher Gesetzgebung untersteht.
Wenndie Krankenkassen hier ihre aktive Rolle ausfüllen und gemeinsam mit den Leistungserbringern die ePA weiterentwickeln, kann es gelingen, sowohl eine eigene Lösung anzubieten und zusätzlich über Schnittstellen zu den Tech-Unternehmen am digitalen Fortschritt zu partizipieren. Somit würden wir die Hoheit und Kontrolle über die Entwicklung behalten.
3. Wie können wir Gesundheitsdaten in Zukunft sinnvoller nutzen und gleichzeitig den Schutz dieser sensiblen Informationen sicherstellen?
Damit Gesundheitsdaten überhaupt zur Verfügung gestellt werden, müssen die Menschen darauf vertrauen, dass ihre Daten nur so verwendet werden, wie sie es wünschen. Dieses Vertrauen ist elementar. Gesundheitsdaten sind nicht nur die wertvollsten, sondern auch die sensibelsten Daten, die wir haben. Sie dürfen nicht in die falschen Hände geraten. Dennoch ist es wichtig, dass wir uns von zwei Paradigmen lösen:
Das Prinzip der Datensparsamkeit steht einer sinnvollen Datennutzung im Gesundheitswesen diametral gegenüber. Es ist absurd, dass wichtige Daten aus diesem Prinzip gelöscht oder gar nicht erst erhoben werden, obwohl diese im späteren Verlauf des Lebens einmal von großer Bedeutung für die eigene Gesundheit sein können.
Das zweite Prinzip ist die technische Sicherung der Daten. Natürlich müssen Gesundheitsdaten besonders geschützt sein, aber wir müssen eine Balance zwischen technischer Absicherung und Nutzbarkeit herstellen. Wenn die Daten so sicher sind, dass man nur nach dreifacher Authentifizierung und Passworteingabe an sie herankommt, wird niemand diese Daten nutzen. Statt überhöhter technischer Hürden brauchen wir harte juristische Konsequenzen, wenn ein Datenmissbrauch festgestellt wird.
Die Grundlage dafür haben wir bereits: die Europäische Datenschutzgrundverordnung. Die Europäische Union ist zudem mit der Entwicklung des europäischen Gesundheitsdatenraumes derzeit dabei, wichtige Fragen in diesem Feld zu klären. Ich bin überzeugt davon, dass dieser europäische Weg des Datenschutzes eine gute Kombination von Datennutzung sowie Datensicherheit und Datenschutz wird - für den medizinischen Fortschritt und für die Menschen.
Das Buch Gesundheit im Zeitalter der Plattformökonomie (herausgegeben von Dr. Jens Baas) befasst sich mit dem Thema der digitalen Transformation des Gesundheitswesens und welche Auswirkungen diese vor allem auch für die Menschen haben wird.