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Der mobile und smarte Patient

Der mobile, smarte und digitale Pateint

LINA BEHRENS und ANN-KATHRIN WEIGAND

Der Patient von morgen als Gestalter seiner Gesundheitsversorgung

Vergleich  man den Patienten der Generation Z mit dem der Boomer-Generation fällt ein grundlegender Unterschied auf: Die Boomer-Generation vertraut meist über viele Jahrzehnte auf einen Hausarzt und nimmt damit sowohl eine Orts- als auch Zeitgebundenheit in Kauf. Die Gen Z hingegen ist auf der Suche nach einer Gesundheits-versorgung, die sich nahtlos in den Alltag – egal ob beruflich oder privat – integrieren lässt. Mit Slogans wie „Für dich mache ich die Nacht durch“ machen etwa die Berliner Vor-Ort-Apotheken diesen Shift deutlich.

Dem Patienten von morgen, der auch als Patient 2.0 bezeichnet werden kann, ist eine Versorgung geprägt durch Komfort und Service wichtig. Lange Wartezeiten auf einen Termin sind für ihn ebenso inakzeptabel wie ein überfülltes Wartezimmer oder eine lange Anreise zum Arzt. Auch die Nachfrage von Videosprechstunden ist– zusätzlich getrieben durch die Corona-Pandemie – von wenigen 100 Minuten pro Jahr bis 2019 auf über 1 Mio. Minuten im ersten Halbjahr 2020 angestiegen (Mangiapane et al. 2021). Dies leitet eine neue Art der Versorgung ein: Integrierte Gesundheitsdienst-leistungen, die idealerweise bequem von Zuhause durchgeführt werden können und den gesamten Patientenpfad abbilden, integriert– wo notwendig – in die Versorgung vor-Ort.

Die Entwicklung macht deutlich, dass für den Patient 2.0 Gesundheit nicht mehr nur eine notwendige Pflichtleistung ist. Stattdessen wird vermehrt der Anspruch der Gesundheitsversorgung als Gesundheitserlebnis gesetzt. Damit wird der Begriff „Patient Experience“ immer wichtiger, der analog zur „Nutzerexperience“ im Einzelhandel, der Industrie und dem eCommerce verstanden werden kann. Erste Anbieter wie bspw. das Münchner Unternehmen Avi Medical – spezialisiert auf die moderne Hausarztpraxis – richten ihr Angebot spezifisch an diesen Bedürfnissen aus.

Der Patient wird mündiger und aktiver Teil seiner Versorgung

Auch das Arzt-Patienten-Verhältnis wandelt sich. Dieser Wandel wird durch das veränderte Eigenverständnis des Patienten und seiner Nutzung von digitalen Angeboten getrieben. Die elektronische Patientenakte (ePA), die am 1. Januar 2021 in Deutschland eingeführt wurde und sukzessive ausgeweitet wird, ermöglicht die direkte Einbindung und Einflussnahme des Patienten. Entscheidend für die Akzeptanz ist dabei, dass die Datenhoheit und die Datenfreigabe in der Hand des Patienten liegen (Rohleder 2020).

Auch andere digitale Tools verhelfen dem Patienten zu einer stärkeren Mündigkeit („Patient Empowerment“). Eine Umfrage zeigt, dass bspw. 50% der Deutschen vor einem Arztbesuch „Dr. Google“ befragen (Paulsen 2020). Aus ähnlichen Gründen erfreuen sich Symptom-Checker wie Ada Health oder Babylon Health großer Beliebtheit. Die Folge: Der Patient hat bereits vor dem eigentlichen Arztbesucheinen Anhaltspunkt für mögliche Erkrankungen und damit auch, welcher Arzt oder Spezialist geeignet sein mag. Erste etablierte Akteure, wie bspw. die Sana-Kliniken haben diesen Trend bereits für sich erkannt und mit Infermedica einen eigenen Symptom-Checker in ihr Angebot integriert. Weitere digitale Tools wie „What’s in my meds“, „was hab’ ich?“ oder BetterDoc unterstützen dieses fortschreitende Patienten-Empowerment. Patienten erhalten über diese Anwendungen nutzerfreundliche Informationen über Inhaltsstoffe in Medikamenten, Übersetzungen von Befunden und Arztbriefen in Laiensprache oder eine Empfehlung für den bestmöglichen Arzt. Für den Arzt ist es daher notwendig, Patienten stärker mit einzubinden und auch kritische oder fachbezogene Fragen verständlich zu beantworten. Andernfalls ist damit zu rechnen, dass der Patient sich um eine alternative Anlaufstelle bemüht und das Arzt-Patienten-Verhältnis geschwächt wird. Die Begegnung auf Augenhöhe wird daher immer mehr zum Schlüsselfaktor für den Erfolg.

Patientenzentriertes Monitoring wird zum festen Bestandteil

Die Anzahl an verkauften Smartwatches steigt zunehmend an (Lim 2020). Die meistenvon ihnen sind mit der Möglichkeit ausgestattet, Gesundheitsparameter zu erfassen, wie etwa Herzfrequenz, Bewegung und Schlaf. Erste Geräte, wie bspw. die Galaxy-Watch von Samsung, nehmen bereits deutlich anspruchsvollere Messerungen wie die des Blutdrucks als Funktion auf (Muoio 2021). Auch andere Remote-Monitoring-Lösungen wie Smart-Home-Geräte und sensor-basierte Kleidung und Accessoires erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Spätestens mit einer Schnittstelle zur ePA haben Patienten die Möglichkeit, Daten aus eigenen Geräten strukturiert einzuspielen und ihren Ärzten zur Verfügung zu stellen. Diese Möglichkeiten rücken den Patienten in den Mittelpunkt und machen die Daten im medizinischen Kontext besser nutzbar. Gleichzeitig können die neuen Datenquellen eine Erwartungshaltung an den Leistungserbringer wecken, diev orhandenen Daten zur Personalisierung der Behandlung oder für Behandlungsentscheidungen zu nutzen – und erfordern mitunter eine Adaption der Leistungserbringung.

Der Patient 2.0 erfordert eine Leistungserbringung 2.0

Der Patient 2.0 erwartet eine andere Leistungserbringung als seine Vorgänger. Anhaltpunkte liefert eine Befragung des bitkom: Waren im Mai 2019 lediglich 30% aller Befragten bereit per Videosprechstunde mit einem Arzt oder Therapeuten zu kommunizieren, lag diese Zahl im Juli 2020 bei 45%. Zusätzlichwollen 4 von 10 der Befragten eine App auf Rezept bei ihrem Arzt einfordern (Rohleder 2020). Diese Zahlen machen deutlich, dass die digitale Kompetenz von Ärztinnen und Ärzten zukünftig immer stärker in den Vordergrund rücken wird.

Mit dem Patient 2.0 ändert sich der Eintrittspunkt in die Versorgung

War in der Vergangenheit primär der Hausarzt die erste Anlaufstelle für den hilfesuchenden Patienten, ändert sich dies mit dem Patient 2.0 (s. Abb. 1). Dadurch verliert der Hausarzt zunehmend die Rolle des Gatekeepers. Auch der stationäre und Facharzt-Sektor rückt in der Wertschöpfungskette somit weiter nach hinten. War die ursprüngliche Prämisse „ambulant vor stationär“ wird der Eintrittspunkt zukünftig digital erfolgen und daher die neue Logik „digital vor ambulant vor stationär“ etablieren. Wollen Leistungserbringer in Zukunft hier ansetzen und die Patientensteuerung beeinflussen, werden ein digitaler Auftritt, ein niedrigschwelliger digitaler Eintrittspunkt und ein umfassendes digitales Leistungsangebot immer wichtiger.

Die Patientensteuerung der Zukunft geschieht digital

In naher Zukunft wird der Einfluss auf die Patientensteuerung noch deutlicher werden (s. Abb. 2). Einen Eindruck, wie diese in Zukunft aussehen könnte, vermittelt der schwedische Telemedizinanbieter Kry: Durch eine Kooperation mit dem MVZ-An-


Abb. 1 Traditionelle und zukünftige Wertschöpfungskette in der medizinischen Leistungserbringung

Abb. 2 Einfluss von digitalen Leistungserbringern auf die Patientensteuerung

bieter Helsa kann Kry seine Patienten nicht mehr nur innerhalb seines eigenen digitalen Systems steuern, sondern kann sie bei Bedarf auch gezielt an einen niedergelassenen Arzt im Netzwerk weiterleiten (Mageit 2020). Ein ähnlich ganzheitliches Angebot schafft der britische Anbieter Babylon Health. Bis 2030 wird dieser die virtuelle Primärversorgung der 300.000 Einwohner-Stadt Wolverhampton in den UK über-nehmen (Evans 2020). Neben dem Remote Monitoring für Chroniker können Bewohner Videokonsultationen buchen oder sich ein eRezept ausstellen lassen. Babylon Health wird damit – zumindest für eine bestimmte und vor allem junge Patientengruppe – zur ersten Anlaufstelle für den Eintritt in die Versorgung (Quigley et al. 2019). Ein Platz, der bisher vielfach durch den Hausarzt besetzt wurde.

Neue Gesundheitsakteure sind Experten für Services aus einer Hand

Auch andere Telemedizinanbieter haben die Bedürfnisse des Patienten 2.0 erkannt und adressieren sie. Dabei steht ein umfassendes Leistungsportfolio, das bequem von zu Hause wahrgenommen werden kann, sowie eine 24/7-Betreuung und -Erreichbarkeit im Fokus. Eine Möglichkeit, die Patient Experience und den Komfort noch weiter auszubauen und Patienten möglichst lange an einen Anbieter zu binden, bilden One-Stop-Shops. Bisher besonders verbreitet in den USA, bieten sie Gesundheitsleistungen meist in einer spezifischen Indikation oder für eine Zielgruppe vereint unter einem virtuellen Dach. Bekannte Anbieter sind die US-Unternehmen Roman Health Ventures und Hims & Hers Health, welche zunächst im Bereich Männergesundheit gestartet sind, ihr Angebot aber sukzessive frauenspezifisch mit den Plattformen Rory und Hers erweitert haben. Über die Plattformen können telemedizinische Leistungen genutzt oder Produkte bestellt und geliefert werden. Auch in Deutschland lassen sich bereits Parallelen erkennen: Mithilfe von Gesundheitsplattformen wie gesund.de und DocMorris+ sollen Patientenzukünftig die Möglichkeit haben, ihre Gesundheit umfassend selbst digital zu managen. Bereits aus anderen Bereichen wie bspw. dem eCommerce sind Konsumenten – und somit auch Patienten – diesen Ökosystem-Ansatz gewöhnt.

Fazit: Die Ausgestaltung eines digitalen Patientenpfads wird entscheidend für den Erfolg etablierter Gesundheitsakteure

Die Beispiele machen deutlich, worauf es bei der Behandlung des Patienten der Zukunft ankommt: Der Patient wünscht kurze und unkomplizierte Wege und möchte sich ohne Brüche im System bewegen können. Im bisherigen System der Regelversorgung sind diese Attribute meist schwer abzubilden, sodass der Patient mit sektoralen Grenzen – zum Beispiel zwischen ambulant und stationär – und einem fragmentierten Markt konfrontiert ist. In diesem muss er sich ohne einen Lotsen zurechtfinden. Klarheit und ein intuitives System zu schaffen, kann somit zukünftig zum Wettbewerbsvorteil werden. Die Sichtbarkeit und eine Möglichkeit für einen niedrigschwelligen Zugang werden zu entscheidenden Parametern bei der zukünftigen Arztwahl. Auch die Konkurrenzsituation für Leistungserbringer verändert sich durch die Digitalisierung der Versorgung, denn grundsätzlich wird es für einen Patienten möglich mithilfe von Videosprechstunden, Remote Monitoring-Lösungen und anderen digitalen Tools, die bestmögliche Behandlung unabhängig von Ländergrenzen und Zeitzonen in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig kommt den digitalen Lotsen ein immer größer werdender Einfluss in der Patientensteuerung zu. Etablierte Akteure des Gesundheitswesens – seien es Krankenkassen, Kliniken oder auch Pharma- und Medtech-Unternehmen – haben diese Veränderung häufig bereits wahrgenommen. Sie beschäftigen sich nun mit der Frage, wie ein vollständig digitaler oder digital unterstützter Patientenpfad der Zukunft aussieht und wie sie diesen aktiv mitprägen können.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Werk "Die digitale Arztpraxis" herausgegeben von Maike Henningsen, Philipp Stachwitz und Shabnam Fahimi-Weber.

Alle Informationen zum Titel finden sie hier.


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