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Arbeitsmedizin und Digitalisierung

Arbeitsmedizin und Digitalisierung

AXEL TELZEROW

Die Arbeitsmedizin ist durch den digitalen Wandel in zweierlei Formen betroffen: Einmal als Teil des Gesundheitssystems, welches durch den Einsatz der Digitalisierung die Arbeitspro­zesse und damit auch Arbeitsstrukturen ändert, dann aber auch in der Begleitung von Mit­arbeitern und Organisationen, die sich auch in ähnlichen Veränderungsprozessen befinden.

Die Arbeitsmedizin wird durch gesetzliche Regelungen wie z.B. Berufsordnung, Verordnungen und Gesetze gestaltet, welche auch damit Grenzen des Einsatzes von digitalen Kommunika­tionsmedien aufzeigen, aber auch Potenzial für Veränderungen lassen. Hierbei ist es vor allem notwendig, dass sowohl Proband als auch Arzt sich über Daten, Datensicherheit, aber auch der vorhandenen Limitationen einer digitalen Kommunikation bewusst sind.

Die Digitalisierung von Organisationen sowie damit auch der Arbeitsprozesse und -struk­turen bzw. der Arbeitsverdichtung werden weiter fortschreiten. Es ändern sich somit auch die Arbeitsinhalte, durch die eine zeitliche Flexibilisierung und räumliche Mobilität ermög­licht werden. Dies stellt aber auch eine große Herausforderung dar, denn es können sich die Grenzen zwischen einzelnen Lebensbereichen auflösen (Wellmann et al. 2019). Arbeiten im Homeoffice und die ständige Erreichbarkeit sorgen dafür, dass die Trennung von Arbeit und Freizeit verschwimmt.

1. Ausgangsvoraussetzung

Die Arbeitsmedizin ist ein Fachgebiet der Medizin, das sich mit den Wechselwirkun­gen zwischen Arbeit und Gesundheit befasst. Dabei liegt ein Focus auf den durch die Arbeit möglichen Gesundheitsschäden bzw. ein anderer Focus auf deren Vermeidung.

Insbesondere ist die Arbeitsmedizin bei Berufserkrankungen, der Unfallverhütung sowie auch der Begutachtung für Versicherungen involviert. Anderseits ist sie in die Förderung, dem Erhalt und der Wiederherstellung der Gesundheit wesentlich. Die Weiterbildung zum Facharzt für Arbeitsmedizin bzw. die Zusatzweiterbildung Be­triebsmedizinist durch die Bundesärztekammer in der (Muster‑)Weiterbildung und ärztlichen Berufsordnung geregelt.

Zusätzlich unterliegt die arbeitsmedizinische Tätigkeit weiteren gesetzlichen Rege­lungen wie z.B. dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sowie der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (Bundesminis­terium für Arbeit undSoziales 2019). Besonders in ASiG § 3 werden die Aufgaben von Betriebsärzten geregelt. Sie haben den Arbeitgeber zu beraten über die Unfallverhü­tung, soziale und sanitäre Einrichtungen, Beschaffung von technischen Mitteln und Arbeitsverfahren, Körperschutzmitteln und auch über arbeitsphysiologische, arbeits­psychologische und sonstige ergonomische sowie arbeitshygienische Fragen (z.B. Arbeitsrhythmus, Arbeitszeit, Pausenregelungen) etc. Sie haben den Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und auch zu beraten. Ausgehend von den gesetzlichen Regelungen wird somit die Arbeitsmedizin definiert und ihre Aufgaben klar beschrieben. In der arbeitsmedizinischen Vorsorge wird zwischen Pflicht‑, Angebots und Wunschvorsorge unterschieden. Hinzu kommen noch nach­gehende Untersuchungen und Eignungsuntersuchungen.

  • Pflichtvorsorge: Die Pflichtvorsorge ist vom Arbeitgeber zu veranlassen und eine Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit. Sie muss vor Aufnahme dieser Tätigkeit und auch danach meist in regelmäßigen Abständen veranlasst und durchgeführt werden (z.B. Tätigkeiten mit Biostoffen).
  • Angebotsvorsorge: Der Arbeitgeber muss dem Beschäftigen die Angebotsvorsor­ge nachweislich und individuell anbieten. Der Arbeitnehmer kann freiwillig teilnehmen und die ärztliche Bescheinigung ist nicht Voraussetzung für die Tätigkeit (z.B. Bildschirmarbeitsplätze).
  • Wunschvorsorge: Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich auf Wunsch durch den Arbeitsmediziner beraten zu lassen, es sei denn, dass aufgrund der Gefähr­dungsbeurteilung und der getroffenen Schutzmaßnahmen nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen ist (z.B. bei Verdacht auf psychische Belas­tungen, Ergonomie).
  • nachgehende Vorsorge: Die arbeitsmedizinische Vorsorge von Versicherten nach der Exposition gegenüber krebserzeugenden Gefahrstoffen und deren Einwir­kungen muss auch über das Beschäftigungsende hinaus sichergestellt wer­den (z.B. Asbest).
  • Eignungsuntersuchung: Neben der arbeitsmedizinischen Vorsorge gibt es auch Eignungsuntersuchungen. Dabei geht es um die Beurteilung,ob ein Mit­arbeiter die Anforderungen einer bestimmten Tätigkeit aus medizinischer Sicht bewältigen kann ohne andere zu gefährden (z.B. nach Fahrerlaubnis­verordnung).

Die Arbeitsmedizin unterliegt verschiedenen rechtlichen Regelungen. Diese definieren einmal die ärztlicheTätigkeit sowie auch die Zielsetzung der Unter­suchung: Pflichtvorsorge, Angebotsvorsorge, Wunschvorsorge, Nachgehende Vorsorge und Eignungsuntersuchung. Eben aufgrund der Vorgaben können nur bestimmte Tätigkeiten digitalisiert werden. Dies hängt insbesondere von der Gefährdung des Mitarbeiters und der Zielsetzung der Untersuchung ab.

In der arbeitsmedizinischen Versorgung wird die Gesamtbetreuung nach DGUV Vor­schrift 2 berechnet, diese entsprechenden Zeiten werden in eine Grundbetreuung und betriebsspezifische Betreuung unterteilt. Dabei hängen die Stundenberechnun­gen von Art und Weise des Unternehmens und der Gefährdung ab. Aufgrund der Ge­samtstunden ist es häufiger schwieriger für kleine Unternehmen einen Betriebsarzt für die Versorgung vor Ort zu rekrutieren. Mit der Telemedizin bestünde nun die Möglichkeit vermehrt auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten eingehen zu können (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2010).

2. Telearbeitsmedizin

Bis zur Änderung von § 7 Abs. 4 der (Muster)Berufsordnung im Jahre 2018 gab es ein Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung. Erst seit dem 121. Deutschen Ärztetag ist dies unter Bedingungen möglich:

„Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine aus­schließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall er­laubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der aus­schließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“ (Bundesärztekammer 2018)

Erst mit der Einhaltung der ärztlichen Sorgfalt, der Garantie der Datensicherheit so­wieder Aufklärung und des Einverständnisses des Patienten kann ein Einsatz der Telearbeitsmedizin erfolgen. Eine wichtige Voraussetzung für die Telearbeitsmedizin ist neben den technischen Punkten wie stabile und sichere Verbindung auch Diskre­tion, da das Gespräch zwischen Betriebsarzt und Mitarbeiter der Schweigepflicht unterliegt. Dies bedeutet, dass der Mitarbeiter ggf. sogar den Arbeitsplatz verlassen muss, falls eine Diskretion nicht gewährleistet sein sollte (Verband Deutscher Be­triebsund Werksärzte 2018).

Telearbeitsmedizin mit Bezug zum Beschäftigten

Durch den Einsatz digitaler Ressourcen können die Fahrwege von Arzt ins Unterneh­men oder des Mitarbeiters in die Praxis entfallen und auch eine flexiblere Betreuung erfolgen. Insbesondere ermöglicht eine kurzfristige Kontaktaufnahme zeitnahe Te­lekonsultation und ggf. Telediagnostik. Prinzipiell sind auch Begehungen und ergo­nomische Beratungen des Mitarbeiters bei einfacheren Gegebenheiten möglich. Je­doch bedingt es Erfahrung und Qualifikation des Arztes, Wissen über die Gegeben­heiten vor Ort und stellt somit eine Einzelfallentscheidung dar, ob und zu welchem Zeitpunkt die Betreuung virtuell erfolgen kann. In jedem Fall ist mindestens ein direkter, unmittelbarer und individueller Arztkontakt zu Beginn erforderlich, denn eine ausschließliche telemedizinische Betreuung würde nicht die Anforderungen an eine qualitätsgerechte Betreuung gemäß ASiG und DGUV Vorschrift 2 erfüllen. Eine bessere Betreuung von Außendienstmitarbeitern und Mitarbeiter im Homeoffice wäre denkbar. Durch die Verwendung von digitalen Applikationen zu z.B. Bewe­gungs- und Haltungsmessungen, den Expositionen gegenüber Lärm und Hitze etc. könntenindividuellere Daten von Arbeitsplatzumgebungen gewonnen werden (Deut­sche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin 2015).

Telemedizin im Rahmen weiterer betriebsärztlicher Aufgaben

Die arbeitsmedizinische Tätigkeit beschränkt sich nicht nur auf die Betreuung von einzelnen Mitarbeitern, sondern auch des Unternehmens, weshalb auch in regel­mäßigen Zeiten z.B. Sitzungen des Arbeitssicherheitsausschusses (ASA) erfolgen und Beratungen des Unternehmens. Diese Beratungen des Unternehmens können virtu­ell durchgeführt werden.

Telemedizin und Delegation betriebsärztlicher Leistung

Die Delegation von ärztlichen Aufgaben an nicht-ärztliches, aber entsprechend qua­lifiziertes Personal ist grundsätzlich nur zulässig, wenn diese nicht Ärzten vorbehal­ten sind. Zu den nicht delegierbaren ärztlichen Leistungen gehören Anamnese, In­dikationsstellung, Patientenuntersuchung, Diagnosestellung, Aufklärung und Be­ratung, Therapieentscheidungen, Durchführung invasiver Therapien. Somit wäre in der Arbeitsmedizin die Delegation der Funktionsdiagnostik an qualifizierte MFAs möglich. Mögliche Aufgaben wären folgende: Blutentnahme, Blutdruck, Puls, Ru­he-EKG, Audiometrie, Spirometrie, digitale Otoskopie. Die Beratungsleistung zu diesen erhobenen Befunden müsste jedoch ärztlich erbracht werden. Durch eine ver­antwortliche Delegation könnten somit wesentlich mehr Mitarbeiter und Betriebe betreut werden (Verband Deutscher Betriebs und Werksärzte 2015).

3. Wandel der Arbeitswelt als Herausforderung

Die fortlaufende digitale Transformation wird wesentliche Auswirkungen auf die Gestaltung der Gesellschaft und damit der Organisation von Arbeit haben. Unter­nehmen sind international vernetzt und z.T. in transkulturellen Prozessen eingebettet, die wieder eine eigene Herausforderung sind. Flexible Arbeitsprozesse erzeugen Zugriffsprobleme, da sie Arbeitsinhalte und Arbeitsprozesse stetig ändern können (Janda u. Guhlemann 2019).

Durch die Technisierung können Mitarbeiter zunehmend von zu Hause im Homeof­fice oder in einem mobilen Büro arbeiten. Während hierdurch Anfahrtswege und ggf. sogar vorgehaltene Räumlichkeiten im Betrieb eingespart werden können, kommt es so zu einem Verschwimmen von Arbeitsleben und Privatleben. Eben hier sind profunde ergonomische Beratungen durch einen digitalen Zugang denkbar.

Es werden somit auch für die Rolle des Arbeitsmediziners weitere Managementqua­litäten erforderlich, um eben diesen Wandel auch aktiv begleiten zu können, denn es stellt sich die Frage, wie kann die Gesundheit der Beschäftigten weiter in Zukunft geschützt und gefördert werden, wenn in der Arbeitswelt klassische Strukturen und Teams wegfallen, agile Organisationen entstehen und Menschen in virtuellen Netzwerken zusammenarbeiten müssen? Die Belastungen und Beanspruchungen werden sich ändern und die Begleitung des demografischen Wandels in einem Umfeld der wachsenden Anforderungen an die Qualifizierung der Mitarbeiter selbst eine Herausforderung: Die agile Organisation erfordert selbst einen agilen Arzt, der in der Begleitung der Technikfolgeabschätzung selbst Neuland betritt.

4. Ausblick 

Der Einsatz digitaler Strukturen ermöglicht einmal eine bessere Erreichbarkeit von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die bisher nur einzelne betriebsärztliche Sprechstundentermine pro Jahr anbieten konnten und nun evtl. durch eine Flexibilisierung dieser eine optimalere Nutzung der Ressource Betriebsarzt erreichen könnten. Denn dieser könnte durch den telemedizinischen Einsatz einen weiteren Fokus auf die Beratung und Prävention legen. Unter dem Einsatz einer entsprechend ausgebildeten Assistenz wären delegierbare Leistungen vor Ort unter Begleitung des Betriebsarztes möglich. Gefährdungsbeurteilungen, Arbeitsschutzausschuss-Sitzungen (ASA) und Betriebsbegehungen sind auch prinzipiell virtuell möglich. Dennoch wird es auch weiterhin Termine vor Ort geben, da z.B. körperliche Untersuchungen von Mitarbeitern nicht digital durchgeführt werden können. Auch würde eine ausschließliche telearbeitsmedizinische Betreuung nicht einer qualitätsgerechten Betreuung entsprechen. Die Telearbeitsmedizin stellt somit eine wichtige Ergänzung der betriebsärztlichen Tätigkeit vor Ort dar, um zeitnah und ressourcenoptimiert arbeiten zu können (VBG 2018). Großes Potenzial existiert in der Optimierung der Schnittstellen zwischen präventiver und kurativer Medizin durch eine verbesserte Zusammenarbeit von Arbeitsmedizin, hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung, um so eine Begleitung von Prävention zu kurativer Medizin abzubilden. Die Prävention muss zu einer tragenden Säule im Gesundheitssystem werden. Hierzu bräuchten Ärzte neben arbeits- und präventivmedizinischen Grundlagenkenntnissen auch zunehmend Managementkenntnisse, um ein tiefergehendes Verständnis der Organisationen und der Belastungen der Mitarbeiter zu entwickeln. Die Arbeitsmedizin steht wie alle anderen Bereiche der Gesellschaft selbst vor den Herausforderungen, dass zukünftige Entwicklungen und somit auch Arbeitsinhalte und -plätze nicht konkret erkennbar sind, aber schon jetzt gestaltet werden.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Werk Betriebliches Gesundheitsmanagement: analog und digital herausgegeben von David Matusiewicz, Claudia Kardys und Volker Nürnberg.


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