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Kommunikation im Kontext der Digitalisierung

Kommunikation im Kontext der Digitalisierung

ANDRÉ POSENAU 

Der Arzt und der Patient im stillen Kämmerlein, das war einmal. Auch wenn man sich nach den guten alten Zeiten zurücksehnt, sind die Kommunikationsradien und -anlässe durch ein verändertes Bewusstsein für die Arzt-Patienten-Beziehung durch die Digitalisierung der Lebenswelten der Akteure deutlich komplexer, transparenter und komplizierter geworden. Abernicht nur was „online“ passiert, auf Bewertungsportalen, Google oder in den sozialen Medien, befindet sich in stetiger Veränderung, auch die face-to-face Interaktionen im Behandlungsraum und der Kontakt zum medizinischen Fachpersonal unterliegen neuen Bedingungen, an denen man sich orientieren muss (vgl. Koch2010, S. 29ff.). Diese neue Ausgangssituation und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Arzt-Patienten-Kommunikation stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags.

Nach einer kurzen Skizzierung der „neuen“ Arzt-Patienten-Beziehungfokussieren wir den Aspekt der Entscheidungsfindung im direkten Austausch. Im Anschluss fokussieren wir den praktischen Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen aus dem Netz, der Selbstdiagnose durch digitale Anwendung und den durch Wearables generierten Informationen, die Auswirkungen auf das Gespräch mit den Patienten*innen haben.

Die "neue" Arzt-Patienten-Beziehung 

Von höchster Relevanz ist die Beziehung der Interaktanten, wenn es um Gesundheitsdienstleistungen geht. Wir können mittlerweile sogar so weit gehen und sagen, die Bedeutung ist höchst relevant für das Outcome, denn eine funktionierende Beziehung zwischen den Akteuren ist die Grundlage für den Therapieerfolg(vgl. Duffy et al. 2004, S. 495f.). Aber diese Beziehung und besonders das damit einhergehende Verständnis sind im Wandel. Ein Grundpfeiler der Beziehung, der auch die Asymmetrie im Austausch begründet, ist die Wissensasymmetrie der Beteiligten. Auch diese wird weiterhin bestehen bleiben, keine Frage, aber „die freie Verfügbarkeit von medizinischem Wissen über das Internet führt zu einer Demokratisierung des Wissens über Gesundheit sowie dem Ursprung und der Behandlung von Erkrankung“ (Scheuer 2017, S. 312).

Dadurch verändert sich das Verhältnis. Während noch vor einigen Jahren quasi ohne Diskussion die Diagnose und Therapie von Seiten des medizinischen Personals entschieden wurde, will der „moderne Patient“ mitentscheiden(Liebrich 2017, S. 34f.). Und da medizinisches Wissen kein Herrschafftswissen mehr ist, werden die im Netz oder generierten Gesundheitsdaten bzw. Informationen massive Auswirkungen auf die Beziehung und die interpersonelle Kommunikation zwischen den Akteuren haben (ebd. 2017, S. 38).

Shared Decision Making

Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist wohl eines der unterschätztesten Heilmittel in unserer Kultur, denn auch das Gespräch hat nachgewiesener Weise einen positiven Effekt auf die Patienten und die Wahrnehmung als selbiger (vgl. Koerfer u. Albus 2018, S. 747ff.). Und dieser Stellenwert wird durch die Auswirkung digitaler Prozesse eher noch verstärkt, wie z.B. durch eine bessere Vergütung (Abrechenbarkeit wie neuer telemedizinscher Kommunikationsmodi) und Positionspapiere verschiedener Akteure(wie z.B. Die Techniker Krankenkasse).

Ein Großteil der Realität zwischen Patienten*innen und Ärzten*innen wird kommunikativ hergestellt und ein Großteil der Aufgaben, die Mediziner*innen zu bearbeiten haben sind kommunikative Aufgaben. Klassische Kommunikationstypen sind hierbei nach Anders und Breitbart die anamnestische, informierende und therapeutische Kommunikation (2014, S. 131ff.). Im Mittelpunkt steht hierbei die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Patienten*innen und Ärzten*innen. Und genau an dieser Stelle wird auch die Digitalisierung die größten Auswirkungen haben.

Denn, wie zuvor skizziert, wird sich das Verhältnis der Beteiligten grundlegend verändern. Auch weiterhin werden Mediziner*innen die Deutungshoheit über medizinisches Wissen haben und somit die Experten für die externen Evidenzen, bestmöglichen Therapieformen usw. sein, aber die Patienten*innen holen auf. Um eins vorweg klarzustellen, die Wissensasymmetrie wird weiterhin bestehen und dies auch zurecht, aber auch wenn der Patient durch quantifizierte Daten über seinen Körper, Recherchen im Netz oder digitalen Informationen anderer Akteure im Gesundheitswesen meint die Deutungshoheit zu haben, wird das Aushandeln und die Entscheidungsfindung deutlich relevanter und komplexer in Zukunft. Somit wird sich die Informations- und Entscheidungsmacht, die bisher überwiegend aufseiten des medizinischen Fachpersonals liegt Richtung Patienten*innen verschieben.

Klassischerweise haben wir es in der Medizin mit einem paternalistischen Bild der Beziehung zu tun: die Ärzte*innen leiten das Gespräch, gibt die Themen vor und trifft die Entscheidungen. Die Patienten*innen antworten eigentlich nur. Die Behandlungspräferenzen der Patienten*innen spielten kaum eine Rolle und werden im klassischen Modell auch nicht erfragt. Weitergehend wird den Anweisungen derÄrzte*innen gefolgt. Ein zentrales Merkmal dieser Beziehung ist Dominanz (vgl. Meinzer 2018, S. 33). Anders hingegen ist es bei Interaktionen im Sinne des shared decision makings (SDM), nach diesem Verständnis steht das gemeinsame Aushandeln im Mittelpunkt (vgl. Scheibler u. Pfaff 2003, S. 12). Beide Parteien besitzen Spielräume und Freiheiten im Gespräch, Entscheidungen werden kooperativ getroffen. Themen und Ziele werden von beiden Akteuren definiert und Entscheidungen quasi gemeinsam akzeptiert (vgl. ebd., S. 33f.). Diese beiden Interaktionsmerkmale sollten nicht als starre sich exkludierende Merkmale betrachten werden. Gespräche sind immer dynamisch und welcher Stil in Interaktionen gewählt hängt auch maßgeblich vom antizipierten Krankheitsbildund den Erwartungen der Beteiligten ab.

Was zunächst als Kontrollverlust aus Sicht der Ärzte*innen interpretiert werden kann ist jedoch langfristig gesehen ein Gewinn, da Interaktion im Sinne des SDM das Outcome, die Zufriedenheit, Lebensqualitätund das Verständnis der eigenen Krankheit verbessern (vgl. Scheibler u. Pfaff 2003, S. 19). Die Digitalisierung wird die Erwartungen nach Interaktionen eher im Sinne des SDM verändern. Denn die reale und angenommene Asymmetrie wird sich durch die digitalen Tracking- und Informationsmöglichkeiten zwangsläufig verändern und den Patienten*innen zumindest das Gefühl geben, dass Sie Expertenwissen besitzen. Kurz gesagt: die Patienten werden mit immer mehr Wissen über ihren Körper (durch Quantifzierungsmöglichkeiten), Krankheiten und Therapiemöglichkeiten (durch Informationsmöglichkeiten und digitalen Anamnesetools) im Behandlungszimmer sitzen und sie werden dieses Wissen im Gespräch verarbeiten wollen. Genau dies wird jedoch laut Gesundheitsmonitor (Böckenet al. 2016) von mehr als der Hälfte aller niedergelassener Ärzte*innen und vom medizinischen Fachpersonal kritisch gesehen, da dies die Erwartungen und Ansprüche an die Interaktion erhöht und das Vertrauen zum Arzt belasten.

Da wir davon ausgehen können, dass sich die der Trend zur Digitalisierung der Lebenswelt eher noch verschärfen wird, wird die entscheidende Frage für Akteure in der Medizin sein in Zukunft sein: wie integriere ich (vermeintlich) informierte Patienten*innen in den Entscheidungsprozess und wie gehe ich mitdem mir präsentierten Wissen um.

Umgang mit Informationen aus dem Netz

Praktisch betrachtet holen sich die meisten Informationssuchenden die Informationen via Google aus dem Netz. Vielleicht nicht immer, aber zumindest haben viele Patienten*innen das Gefühl, dass sie sich durch ihre Recherchen im Netz Fachwissen aneignen. Das Thema Gesundheit ist zumindest eines der am meisten gesuchtesten Themen im Netz und es bietet ja auch enorme Möglichkeiten der Selbstedukation. Ungefähr die Hälfte aller Bürger recherchiert bei Bedarf das Thema Gesundheit im Netz (Reifergeste u.Baumann 2018, S. 46). Dabei ist die Vielfalt an Informationsmöglichkeiten extrem komplex und intransparent. Es ist häufig nicht deutlich ob es um Fakten oder Meinungen geht (ebd. 2018, S. 49ff.). Darin liegt eine Gefahr, die Mediziner*innen im Alltag Probleme bereiten kann. Dementsprechend bietet es sich an erstmal zu eruieren, weshalb überhaupt Informationen gesucht wurde.

Somit wird die Frage nach dem Motiv im Austausch denPatienten*innen entscheidend. Baumann und Hastall differenzieren nach Atkinfolgende vier Strategien (2014, S. 453f.):

  1. Recherche um ein Überblickswissen zu bekommen. Zentrales Anliegen ist das Verstehen potenzieller Ereignisse aus der Umwelt.
  2. Recherche um eine Orientierungswissen zu bekommen. Zentrales Anliegen ist die Einordnung von Ereignissen und dem treffenvon Entscheidungen.
  3. Recherche um Aktionswissen bekommen. Zentrales Anliegen ist es Wissen zur Unterstützung von Verhaltensänderungen zu generieren.
  4. Recherche um Bestätigungswissen zur Rückversicherung zu bekommen. Zentrales Ziel ist die Überprüfung der eigenen gesundheitsrelevanten Bewertungen und Entscheidungen.

Je nach Motiv ermöglichen sich andere Anschlussmöglichkeiten im Gespräch. Ein weiterer Aspekt ist Qualität der Informationen. Auch wenn der Anteil akademisch Gebildeter in der Bevölkerungimmer weiter zunimmt, nicht alle Bürger*innen sind in der Lage Informationen aus dem Netz anhand von objektiven Kriterien zu bewerten. Hierbei schaffen Fachgesellschaften oder Checklisten vom Bundesgesundheitsministerium Abhilfe. Letztgenannte sind frei verfügbar und können eigenständig oder als digitale Handreichung zur Einschätzung der Qualität der Informationen dienen. Hier ein Auszug aus den Kategorien der Checkliste des Bundesgesundheitsministeriums (Bundesministeriumfür Gesundheit 2020). Demzufolge helfen die folgenden Kriterien bei der Einschätzung:

  • Angabe zu den Autoren/Anbieter (Die Autoren/Anbieterder Information werden mit ihrer fachlichen Qualifikation angegeben.)
  • Angabe zum Ziel (Es geht aus der Information hervor, an wen sich die Information wendet und welchen Zweck sie verfolgt.)
  • Angaben zur Aktualität (Die Aktualität der Gesundheitsinformation ist beurteilbar, weil das Erstellungsdatum der Information angegeben ist.)
  • Verständlichkeit (Die Gesundheitsinformation ist verständlich und übersichtlich aufgebaut. Fachbegriffe sind erklärt und Sachverhalte werden neutral dargestellt.)
  • Angaben zur Finanzierung (Die Finanzierung der Information (durch Sponsoren, Werbekunden etc.) ist offengelegt. Falls Werbeinhalte aufgeführt sind, dann sind diese deutlich gekennzeichnet und abgegrenzt.)

Anhand dieser Merkmale lässt sich erstmal grundlegend einordnen, ob es sich um eine seriöse Quelle handelt. Sollte dies dem Patienten*innen nicht bewusst sein, orientieren sie ihn für weitere Recherchen. Denn wichtig ist das grundlegende Bearbeiten der Gesundheitsinformation nach objektiven Gütekriterien. Anstatt alle selbst recherchierten Informationen, Diagnose- und Therapiewünsche direkt zu bagatellisieren, sollten sie ausgehend vom Motiv die Patienten*innen aktiv in das Aushandeln integrieren. Denn grundsätzlich wird sich die Entwicklung zur Suche von Informationen im Netz verstärken und wir können davon ausgehen, dass die Informationsdichte immer weiter zunehmen wird, bis sie letztendlich durch digitale Anwendungen wieder transparenter wird.

Umgang mit der digitalen Selbstdiagnose

Neben der Bereitstellung von Informationen durch das Internet über soziale Medien, Foren, YouTube oder anderen Kanälen, gibt es auch ganz neue Möglichkeiten, um Informationen zu seinem Gesundheitsstatus zu erfahren. Sogenannte Diagnose- und Medical-Decision-Support-Systeme bzw. -Apps, mithilfe der Nutzer*innen eigene Diagnosen „stellen“ können. Die klassischen Systeme basieren auf bildgestützten Diagnoseverfahren oder durch Symptomeingabe, wie z.B. mithilfe der App Ada. Ada ist eine App in der ich meine Symptome eintragen kann und dann von einem Chatbot immer weitergehend befragt werde, bis ein Bericht mit möglichen Ursachen erstellt wird. Die App gibt explizit an, dass es sich nicht um eine Diagnose handelt und man bei Sorgen und anhaltenden Beschwerden einen Arzt aufsuchen soll. Dies kann für die Patienten*innen hilfreich sein, wie man an der aktuellen Situation rund um das Coronavirus SARS-CoV-2 sehen kann. Bevor ich mich auf dem Weg zum medizinischen Fachpersonal mache, kann ich, basierend auf aktuellen Erkenntnissen, erstmal überprüfen ob dies überhaupt notwendig ist. Ich kriege eine vermeintlich fundierte Information über meine aktuellen Symptome, die ähnlich wie im Abschnitt zuvor aus bestimmten Motiven wichtig für mich ist. Die Qualität der Diagnosen ist in vielen Einsatzbereichen gut und wir können davon ausgehen, dass Sie mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) immer besser wird (Müschenich u. Wamprecht 2018; Kernebeck 2019). Wichtig ist zu verstehen, wie die Empfehlungen ausgesprochen werden und da liegt m.E. das Problem. Der dahinterliegende Algorithmus ist, wie z.B. bei der Internetsuchmaschine Google, nicht bekannt und somit ist der Weg zur Entscheidungsfindung nicht transparent. Ada ist das bekannteste Beispiel der Diagnose-Apps und wir können davon ausgehen, dass KI in diesem Bereich immer mehr Anwendung finden wird und somit auch Gegenstand in den klassischen face-to-face-Interaktionen mit Patienten*innen.

Die Informationen, die durch diese Tools generiert werden, haben zentrale Auswirkungen auf den zentralen Moment der Entscheidungsfindung im Kontext der Diagnose, die eine Kernaufgabe und -kompetenz der Medizin ist. Durch Diagnosetools, die mit künstlicher Intelligenz Symptome kategorisieren, verändert sich der Zugang zu diesem Wissen. Ähnlich wie im Abschnitt zuvor verändert sich das Verhältnis zwischen Patienten*innen und Ärzten*innen in einer vorher exklusiv medizinischen Domäne. Der Umgang mit dieser Entwicklung ist jedoch relativ einfach. Bauen sie die Erkenntnisse der Selbstdiagnose in das partizipative Aushandeln mit den Patienten*innen ein. Dies hat einen integrierenden Charakter und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass im Sinne des SDM Entscheidungen getroffen werden können. Das grundsätzliche Ablehnen ist problematisch, da ja nicht nur die potenziellen Ergebnisse oder die Genese dieser Entscheidungsgrundlage abgelehnt werden, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit die Person und ihre Ambitionen ansich, was zu einer gestörten Beziehung führen dürfte.

Es wird immer komplexer!

Durch die Digitalisierung wird vieles im medizinischen Kontext einfacher, aber einige Dinge werden durch sie aber auch deutlich komplexer. Und solange wir keine Möglichkeiten haben die im Netz befindlichen oder durch Apps generierten Informationen so aufzubereiten und zu strukturieren, dass Sie allgemeinverständlich und qualitativ hochwertig abgesichert rezipiert werden können (wie z.B. durch ein Web-Portal für medizinische Informationen, auf das alle Mediziner*innen verweisen könnten), solange wird es in den Gesprächen immer wieder zu Diskussionen über die Qualität der Informationen kommen. Und das ist auch gut so! Das wird die Gesprächsverläufe zwischen Mediziner*innen und Patienten*innen verändern. Aber letztendlich werden die Entscheidungen (noch) von den menschlichen Akteuren getroffen und nicht von digitalen Systemen, was zumindest solange so sein wird, bis die Systeme die komplexe Patienten*innen-Situation berücksichtigen lernen und ein wirkliches Verständnis der Situation entwickeln (Scheuer 2017, S. 218).

Bis dahin können folgende grundlegende Orientierung helfen, das Digitale als weitere Ressource im Versorgungsprozess zu integrieren. Die Kontextualisierung von Informationen und das Orientieren im Datendschungel werden in Zukunft immer wichtiger für medizinisches Fachpersonal. Halten Sie Informationen (digital und analog) für Ihre Patienten*innen bereit und diskutieren Sie Gütekriterien mit ihnen. Bremsen Sie die Autonomiebestrebung der Patienten*innen nicht und nehmen Sie die Rechercheversuche ernst. Integrieren Sie die gewonnen Informationen und eruieren Sie die Motive der Betroffenen. Das Modell der Zukunft ist das SDM! Und letztendlich üben sie aktiv den Umgang mit neuen Trackingsystemen und Wearables ein, die für Ihren Fachbereich relevant sind. Denn in Zukunft werden Sie neben der medizinischen Kompetenz auch als Ansprechpartner für digitale Unterstützungsoptionen fungieren müssen, um den Bedarfen von Patienten*innen gerechtwerden zu können.

Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Werk Digitale Medizin, herausgegeben von David Matusiewicz, Maike Henningsen und Jan P. Ehlers.


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