3 Fragen an...
Prof. Dr. Stefan Heinemann ist u.a. Professor für Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule und fokussiert die ökonomische und ethische Perspektive auf die digitale Medizin und Gesundheitswirtschaft. Anlässlich des Erscheinens von Digitalisierung und Ethik in Medizin und Gesundheitswesen erläutert er im Interview die Relevanz einer ethischen Dimension auf dem globalen eHealth-Markt.
1. Welcher Stellenwert kommt ethischen Aspekten auf dem globalen eHealth-Markt zu? Wo sehen Sie Reflexions- und Nachholbedarf?
Ein zentraler Stellenwert. Denn die digitale Medizin und Gesundheitswirtschaft lässt sich nicht auf die ökonomische und rechtliche Dimension reduzieren – es reicht nicht aus, effizient und legal zu handeln. Im globalen eHealth-Markt sind business Modelle aktuell, die legal sind, aber dennoch ethische Bedenken in der gesellschaftlichen Reflexion evozieren. Ein einschlägiges Beispiel ist der Umgang mit Gesundheitsdaten – ob jene als Gemeinschaftsgut oder privates Wirtschaftsgut zu betrachten sind, ist eine prinzipielle Frage ethischer Natur. Offenkundig ist der humanzentrierte Umgang der EU mit Daten und Digitalisierung insgesamt ein anderer, als der businessorientierte Ansatz der USA oder der politikzentrierte Scope Chinas. Es wird viel darauf ankommen, legitime Geschäftsmodelle und vor allem echten, greifbaren Patientennutzen zu entwickeln, der die Gestaltungsräume für illegitime aber durchaus legale Modelle eng macht. Denn letztendlich werden Nutzen und Bequemlichkeit auch im digitalen Gesundheitsbereich wesentliche Entscheidungsfaktoren sein. Umso wichtiger sind ethische Leitplanken – die allerdings, um zu leiten, zumindest breit kommunikabel und verstehbar sowie durch eine möglichst tiefe gesellschaftliche Diskussion legitimiert sein müssen. Was wiederum deutlich macht, dass viel auf die Befähigung zur Teilnahme an diesen Diskursen ankommen wird. Für Patienten, Angehörige aber auch die Systemprofis.
Ethik darf kein Thema für Quotenphilosophen, erhobene Zeigefinger und Moral Glamour sein, sondern muss als Befähigung zu erfolgreichem Handeln in Medizin und Gesundheitswirtschaft verstanden werden; und in diesem Sinne die digitale Transformation als Chance auf mehr Menschlichkeit und nicht das Gegenteil davon. Freilich ist vor Naivität zu warnen: Das Medium bedeutet etwas für die Message. Und doch ist es u.E. unethisch, digitale Chancen auf Heilung vorschnell auf dem Bedenkenaltar zu opfern.
2. In welchem Verhältnis stehen ethische und ökonomische Aspekte zueinander: Können sich Deutschland und Europa weitere Regulierungen aufgrund ethischer Bedenken im globalen Wettbewerb überhaupt leisten oder werden ethische Überlegungen gerade zu einem Wettbewerbsvorteil?
In the long run ist der Wettbewerbsvorteil durch eine ernstgemeinte Ethik nachgerade eine metaphysische Pointe. Allerdings nur dann und nur dort, wo Ethik eben ernstgenommen wird – was anstrengend sein kann, jedoch unverzichtbar ist. Vor der Ethik haben sich in einem achtenswerten Rechtsstaat auch die Gesetze und das Recht zu verantworten. Regulierung darf keine Chancen ersticken und muss gleichzeitig die Kernwerte durchsetzen und lebendig gestalten. Ohne Chancenorientierung besteht die Gefahr, dass eine Art digitaler Medizintourismus dorthin entsteht, wo der Patientennutzen eben am größten ist – Ethik hin oder her.
Bei einer starken Dominanz der Marktorientierung besteht die gegenteilige Gefahr, Ethik letztlich zu Gunsten von digitalen Renditen zu verunmöglichen. Die Synthese liegt in wohlverstandenen effektiven, legalen und legitimen Geschäftsmodellen, die verantwortbaren Nutzen für Patienten und Mitarbeitende wie Ärzte und Pflegende stiften. An dieser Zukunft sollten alle Akteure proaktiv gestaltend mitwirken. Wir haben nur diese eine historische Chance. Schlafen wir, machen es Apple& Co.
3. Was erwarten Sie von dem noch jungen Jahr 2020 in Bezug auf die digitale Medizin und Gesundheitswirtschaft?
Regulatorisch eine weitere Verstetigung und Ausdifferenzierung, institutionell eine stärkere Ausrichtung auf smarte Strukturen und Angebote. Die Akteursebene betreffend eine deutliche Öffnung für mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die Patienten werden dabei die treibende Kraft sein.
02.03.2020