Die Zukunft der Medizin: Podiumsdiskussion zum Buchlaunch
Am 5. Juni 2019 lud Verleger Thomas Hopfe renommierte Experten aus Wissenschaft und Praxis zur Diskussion kontroverser Fragen hinsichtlich der Zukunft der Medizin und des Gesundheitswesens - Thema des in der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft neu erschienen Buches "Die Zukunft der Medizin". Das Spannungsfeld zwischen Innovationskraft und ethischen, rechtlichen Rahmenbedingungen wurde unter reger Beteiligung des Publikums diskutiert. Durch den Abend führte Philipp Grätzel von Grätz, Chefredakteur von E-HEALTH-COM.
Verleger Dr. Thomas Hopfe eröffnete den Abend mit einer Anekdote aus seiner verlegerischen Laufbahn und präsentierte das "Computer-Manual für Ärzte", das er als Programmleiter bereits 1994 bei Urban & Schwarzenberg verlegt hatte: "Der Kreis schließt sich, aber in 25 Jahren sind wir mit der Digitalisierung der Medizin in Deutschland nicht besonders weit gekommen."
Revolutionäre Innovationen warten auf konsequente Umsetzung
In ihrem Grußwort berichteten die Herausgeber Prof. Dr. Erwin Böttinger und Dr. Jasper zu Putlitz von der Entstehungsgeschichte des Werkes: „Die aktuellen Veränderungen in der Medizin und Gesundheitsbranche sind viel radikaler als alles, was wir bisher erlebt haben“, betonte zu Putlitz, Operating Partner der Beteiligungsgesellschaft Triton. Um diesem gerecht zu werden, müsse eine schnelle Entwicklung neuer Fähigkeiten erfolgen. Darüber hinaus würden Partnerschaften und Kooperationen immer wichtiger, um die immer älter werdende, hohe Anzahl von Patienten weiterhin angemessen zu versorgen. Eine nachhaltige Versorgung sei zukünftig nur mit hoher Effizienz möglich. Hierzu sei auch eine höhere Orientierung am Bedarf der Patienten notwendig.
Beispiel Gentechnologie: Erbgutveränderung leicht gemacht
Anschließend wurde das Podium mit einem Einblick in die neuesten Entwicklungen in der Gentherapie eröffnet. Dr. Rodger Novak, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Geneditierungsfirma CRISPR Therapeutics, besprach die vielfältigen Möglichkeiten der Genschere CRISPR/Cas9, mit der Forscher die DNA-Bausteine im Erbgut eines jeden Lebewesens so präzise wie noch nie verändern können. Die derart mögliche Manipulation somatischer Zellen verspricht zukünftig völlig neue Möglichkeiten im Kampf gegen genetische, autoimmune und onkologische Erkrankungen und eröffnet neue Perspektiven für regenerative Therapien.
Beispiel Nanotechnologie: Permanente Diagnostik im Alltag
Prof. Simone Schürle-Finke, Assistenzprofessorin für Reaktionsfähige Biomedizinische Systeme an der ETH Zürich, folgte mit einem Plädoyer für den alltagsnahen Einsatz von Nanosystemen zur Früherkennung von Erkrankungen und für die personalisierteren bzw. individualisierteren Medizin. Über Wearables, also am Körper tragbare kleine Sensoren mit Computerchips zur permanenten Messung von Körperfunktionen, hinaus sollen Nanosysteme zukünftig immer praktischer in den Alltag integriert werden. Beispielsweise ist eine Implementierung im Körper denkbar. Oder die unkomplizierte Diagnose von Erkrankungen mittels an Nanosysteme-gekoppelte Urinstreifentests zuhause, ähnlich einem Schwangerschaftstest.
Die Situation in Deutschland im internationalen Vergleich
Doch auch die großartigsten medizinischen Entwicklungen nutzen nichts, wenn sie nicht im Sinne der Patienten angewandt werden. Und hier hinkt Deutschland bei der praktischen Umsetzung im internationalen Vergleich hinter, kritisieren die Herausgeber. So berichtete Prof. Dr. Erwin Böttinger, dass in den USA die auch der Forschung gewonnen Chancen gefördert würden und die Erhebung eigener Daten von den Patienten als „Vehikel für Fortschritt" verstanden würde. „Im Gegensatz dazu wachen in Deutschland Sicherheitswalls über Daten als wären es Viren“, pointierte Böttinger. Diese Angst behindere Forschung und Praxis. Deshalb sei ein intelligenter und verantwortungsvoller Umgang mit Daten sowie ein neues Selbstverständnis auf Seiten der Patienten in Deutschland nötig.
Politik und Patienten müssen die Chancen erkennen lernen
Prof. Dr. med. Jörg Debatin, Leiter des Health Innovation Hub des Bundesgesundheitsministeriums, pflichtete ihm bei: „Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern muss dazu dienen, die Medizin zu verbessern. Und die Patienten müssen sie wollen.“ Hierfür müssten die Vorteile, die eine Datennutzung für den Patienten bedeuten, transparenter gemacht und deutlicher in den Vordergrund gerückt werden. Dies ist nicht nur eine Aufgabe der Politik sondern für uns Alle.
Als Leiter des Health Innovation Hub bemüht er sich, die bestehende „Erfahrungsasymetrie“ zwischen dem zuständigen Gesundheitsministerium auf der einen und der realen Welt auf der anderen auszugleichen. Experten des hubs beraten Ministerium und Politik, um die Umsetzung digitaler Ideen und Projekte zu beschleunigen. Andererseits verteidigte Debatin die notwendige Debatte über ethische Fragen zur Entschlüsselung der evolutionären Biologie, die sich bisher nicht stellten und nun diskutiert werden müssten. Hier könnte Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen.
Fazit
In einem Punkt waren sich alle Podiumsteilnehmer einig: Statt ewiger Diskussionen ist endlich der Mut zur Tat gefragt. Bedenken müssen ernst genommen und Debatten geführt werden, doch ohne ein engagiertes Handeln verliert Deutschland den Anschluss. Globale Tech-Giganten erobern längst den Markt. Disruptive Innovationen im Bereich Digital Health finden bereits statt und werden auch künftig stattfinden. Die Frage ist nur, welche Rolle der Standort Deutschland dabei spielen wird.
Beim abschließenden Get-together konnten Podiumsteilnehmer und Publikum, darunter eine Reihe von prominenten Gästen, weiterhin angeregt über diese Themen des Abends diskutieren.
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